von Arnold Neumaier, 14.01.1992
Gottes Wort ist für alle Zeiten gültig:
Das verlangt viel vom biblischen Text, und erklärt zeit- und persönlichkeitsbedingte Unterschiede in der Interpretation.
Die ersten Blätter der Bibel enthalten folgenden Bericht (1. Mose 1:1-2:4a):
3. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
4. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht
von der Finsternis
5. und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward
aus Abend und Morgen der erste Tag.
6. Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da
scheide zwischen den Wassern.
7. Da machte Gott die Feste und schied
das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es
geschah so.
8. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus
Abend und Morgen der zweite Tag.
9. Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an
besondere Orte, daß man das Trockene sehe. Und es geschah so.
10. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser
nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.
11. Und Gott sprach: Es
lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare
Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte
tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.
12. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt,
ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen,
in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott
sah, daß es gut war.
13. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
14. Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die
da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre
15. und seien Lichter an der Feste des Himmels, daß sie scheinen
auf die Erde. Und es geschah so.
16. Und Gott machte zwei große
Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines
Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne.
17. Und Gott setzte sie an die
Feste des Himmels, daß sie schienen auf die Erde
18. und den Tag und
die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah,
daß es gut war.
19. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
20. Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier,
und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.
21. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt
und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und
alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah,
daß es gut war.
22. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und
erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich
mehren auf Erden.
23. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
24. Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes
nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes
nach seiner Art. Und es geschah so.
25. Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art,
und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des
Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.
26. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns
gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und
über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und
über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm,
das auf Erden kriecht.
27. Und Gott schuf den Menschen
zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als
Mann und Weib.
28. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid
fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch
untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die
Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles
Getier, das auf Erden kriecht.
29. Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen,
die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit
Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.
30. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel
und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne
Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.
31. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe,
es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
[Kap. 2:]
1. So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
2. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte,
und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht
hatte.
3. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an
ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht
hatte.
4. So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
Ich möchte diesen Text in dreierlei Hinsicht erschließen:
1. Die Entstehungsgeschichte der Welt (der wissenschaftliche Bezug)
2. Die Größe Gottes (der hymnische Bezug)
3. Die Bestimmung des Menschen (der persönliche Bezug)
Die Christen sind geteilter Meinung darüber, wie man wichtige Details interpretiert. Drängt man die eigene Sicht andern als die allein richtige auf, richtet man Schaden an. ''Wenn einer meint, er sei zur Erkenntnis gelangt, der weiß noch nicht, wie man erkennen soll,'' sagt der Apostel Paulus (1. Kor. 8:2). Ich möchte es also mit Paulus halten, der über die Gemeinde trennende Auffassungen so rät: ''Jeder sei seiner Meinung gewiß'' (Römer 14:5; der Kontext sind Meinungsverschiedenheiten über ''bestimmte Tage halten'').
Zum Beispiel die Dauer der Schöpfung.
Mose gilt bei vielen als der Autor des Buchs Genesis (1. Mose). In Psalm 90, im einzigen Psalm, der Mose zugeschrieben wird, heißt es im selben Kontext: ''Ehe die Berge wurden und die Erde und das Weltall erschaffen wurde, bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Du läßt die Menschen zurückkehren zum Staub und sprichst: 'Kommt wieder, ihr Menschen!' Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.'' (Psalm 90:2-4)
Mose weiß also von der menschlichen Bedingtheit seiner Zeitangaben. Wir als vergänglicher Staub müssen nach 6 Menschentagen ruhen, Gott ruht nach 6 Gottestagen, die nach menschlicher Weise gemessen fast endlos lange sind. Nach dem Wortlaut des Psalms können sie nicht einmal nach einem fixen Massstab umgerechnet werden. Man muss deren Dauer also aus der Beobachtung der Schöpfung erschliessen. Wenn man hier der Wissenschaftschronologie vertraut, waren es wirklich sehr lange Zeiträume, nach unsern Uhren gemessen.
v.1: Gott hat Autorität über alles. ''Im Anfang schuf Gott die geistige und die materielle Welt.'' Er ist all-mächtig = hat die Macht über alles.
v.2: Die materielle Welt war im Chaos. Wie sich die Wissenschaft dieses Chaos denkt, kann man z.B. in Weinbergs Buch ''Die ersten 3 Minuten'' nachlesen.
v.3: Gott sprach ''Es werde'': Er gibt den Anstoß zur Entwicklung, die Materie tut das ihre dazu (und die geistige Welt wohl auch). Wissenschaftler beschreiben diese Prozesse als Selbstorganisation: Unter dem Einfluß vorgegebener äußerer Kräfte ordnet sich die Materie so, daß die Energie erhalten bleibt und ein Maximum an Vielfalt (Entropie) entsteht. (1. und 2. Hauptsatz der Thermodynamik). Was genau passiert, hängt von den äußeren Kräften (Randbedingungen) ab.
v.3-10: Gott zeigt an, daß er der Lenker der Selbstorganisation ist: Er bestimmt Zeitpunkt und Art der Veränderungen. Physiker erkennen in diesen Versen die Beschreibung von drei wesentlichen Phasenübergängen: Die Trennung von undurchsichtig - durchsichtig, von gasförmig - flüssig, und von flüssig - fest. In der Physik wird dies mit Methoden der statistischen Mechanik beschrieben: Zusammen mit Gottes Naturgesetzen für die Materie führen der Zufall und das Gesetz der großen Zahl zu diesen Vorgängen. Für unsere Zeit bedeutet das Gottes Herrschaft über den Zufall, u.a. durch das Setzen von Randbedingungen. (Dass Gott Herr über den Zufall ist wird auch in den Sprüchen Salomos (16:33) festgestellt: ''Der Mensch wirft das Los; aber es fällt, wie der Herr will.'')
v.11-13: ''Die Erde lasse aufgehen Gras und Kraut.'' Die Entwicklung des Lebens ist Gemeinschaftsarbeit von Gott und Materie: Er befiehlt, sie gehorcht. Die Gesetze der Entwicklung sind in der Materie angelegt; den Zeitpunkt, wann etwas Neues beginnt (und was), bestimmt aber Gott.
v.20-25: Das Werden der höheren Tiere erfordert eine neue
Qualität: Aus der Sicht der modernen Biologie kann man den Sprung
vielleicht im Entwurf des Nervenzentrums sehen,
das den Tieren ihre Individualität gibt, sie beseelt.
Was die Biologen dem Zufall zuschreiben, ist nach dem Zeugnis der
Bibel das direkte Eingreifen Gottes: zum zweitenmal schuf er
(v.21). Und das Neue, die individuelle Seele, hat eine neue Fähigkeit:
Sie kann auf Gott hören, denn Gott spricht sie an (v.22).
v.21: Ein jedes nach seiner Art: Gott hat Freude am Individuum, gestaltet jeden besonders in seiner Eigenart. Mit wissenschaftlichen Begriffen ausgedrückt: Gott hat die Kontrolle über Mutation und Selektion (Psalm 139:15: Er bereitet uns im Mutterleib).
v.26-27: Das Werden des Menschen erfordert wieder ein direktes Eingreifen Gottes: Der Mensch wird ausgerüstet mit Geist (1. Mose 2:7 -- Gott blies ihm den Geist ein), und macht ihn damit zu einem Partner Gottes. Wir Menschen können nicht nur Gott hören, sondern auch mit ihm reden; die Kommunikation wird vollständig.
Der Mensch ist am selben Schöpfungstag geschaffen wie die höheren
Tiere; materiell unterscheidet er sich nicht wesentlich vom Tier;
in Bezug auf Herkunft, Körperbau und Vergänglichkeit gibt es keinen
großen Unterschied:
''...damit Gott sie prüfe und sie sehen, daß sie selber
sind wie das Vieh. ...Wie dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben
alle denselben Atem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh, denn
alles ist unbeständig. ... Es ist alles aus Staub geworden und wird
wieder zu Staub.''
(Pred. 3:18-20)
''Alles Fleisch ist wie Gras und seine Vorzüge wie eine Blume
auf dem Feld. ...Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort
Gottes bleibt ewiglich.'' (Jes. 40:6-8; Psalm 90:5).
Was den Menschen aber auszeichnet, ist der Geist, der ihn befähigt, Gottes Wort zu denken, Partner Gottes zu sein (s. unten).
Gemäß den Ergebnissen der Paläontologie gibt es eine lange Reihe von Vormenschen. Gott gab einem von diesem, Adam, von seinem Geist, und dies hat ansteckend auf den Rest der Menschheit gewirkt. Als Christen haben wir erlebt:
Der Schöpfungsbericht ist in erster Linie nicht als naturwissenschaftliche Abhandlung konzipiert, sondern als ein Loblied auf die Größe Gottes.
Gottes Welt ist unwahrscheinlich großartig. Ihre Schönheit und Komplexität hält die Menschen seit jeher in Atem. Gott is kreativ; er schafft unaufhörlich Neues -- auch heute noch.
Gott handelt zielstrebig und mit Bestimmtheit: ''Wenn er spricht, so geschieht's'' (Psalm 33:9). Er hat die Macht über alles. Gott
Römer 8:28: ''Wir wissen, daß bei denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten dienen.'' Auch das, was böse scheint. Für Gottes Kinder zählt das Gute alles, das Leiden unter dem Bösen braucht nicht mehr ins Gewicht zu fallen (Römer 8:18). Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes (Römer 8:39).
v.2+3: So sieht es auch oft in unserem Inneren aus: Wir sind im Chaos, bis Gott spricht, und es licht wird.
v.14-18: Sonne, Mond und Sterne sind uns gegeben als Weg- und Zeitweiser; ohne ''astrologische'' Macht, also nicht als Schicksalsweiser.
v.26-28: ''als Gegenüber Gottes'' haben wir Aufgaben: seid fruchtbar vermehrt euch, macht die Erde untertan, herrscht über sie. Dies muß aber im Sinne Gottes geschehen: ''Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.'' (Matth. 20:25-26)
Kap. 2:2-3: Auch uns tut Ruhe nach der Arbeit gut.
Wir haben die Freiheit, wann wir ruhen. Aber wenn
der Betrieb der Welt (ob weltlich oder geistlich) uns so in Beschlag
nimmt, daß wir nicht mehr ruhen, vergessen wir unsere Ebenbildlichkeit
mit Gott und vernachlässigen seine Ordnung (2. Mose 20:9-11).
Kap.2:15: ''bebauen und bewahren.'' Bebaut haben wir die Erde -- aber nicht unbedingt im Sinne Gottes, Im Bewahren der Schöpfung haben wir fast versagt, und dies ist eine große Herausforderung für uns.
Arnold Neumaier (Arnold.Neumaier@univie.ac.at)