In unsrer technischen Welt erreicht man die Wunder der modernen Naturwissenschaften durch sorgfältige Planung und große Anstrengungen, diese Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen. Mächtige Maschinen oder Organisationen werden benutzt, um alles zustande zu bringen und instand zu halten.
In der organischen Welt werden die Wunder der Natur auf andere Weise bewirkt: Mitsamt all ihren wunderbaren Fähigkeiten wachsen alle Organismen aus kleinen Samen in ihre entgültige Form und Funktion hinein, und dies geschieht fast ohne Mühe, und unter den richtigen Umständen ganz von selbst. Dies ist die Art, in der Gott seine Wunder organisiert. Jesus benutzt wiederholt Vergleiche mit natürlichen Wachstumsprozessen, um zu illustrieren, wie das Reich Gottes in jedem von uns wächst.
In der Natur ist das Programm, das den Plan und die Anweisungen für seine Ausführung enthält, im Samen enthalten; ohne Same kein Leben.
Ein Kind wächst auch aus einem winzigen Samen, der vom Vater in den Leib der Mutter gesät wird. Dort hat es die Möglichkeit, ungestört in einer geschützten Umgebung zu wachsen, bis seine Fähigkeiten genügend weit entwickelt sind, um mit der äußeren Umwelt zurecht zu kommen. Für die Mutter ist dies nicht immer einfach; die Freuden des wachsenden Lebens in ihr müssen von ihr mit der Bereitschaft bezahlt werden, ihre Lebensgewohnheiten so zu verändern, daß es dem Kind dient. Sie muß nicht mehr nur für sich selbst sorgen, sondern auch für das neue Leben in ihr, und Konflikte mit ihrem alten Lebensstil müssen eine kreative Lösung finden.
Dann wird das Kind geboren, und es wächst weiter in der Geborgenheit einer Familie. Das Wachstum ist von den Freuden des Lernens und des die Herrschaft über das eigene Leben Gewinnens begleitet. Und von den Anstrengungen, richtig umzugehen mit den Verletzungen, die die Umstände, die Zufälle des Lebens, andere Leute und die eigene Gedankenlosigkeit mit sich bringen. Schließlich hört das organische Wachstum mit dem Erwachsenwerden auf, aber das Wachsen in der Verantwortung und in der Qualität der Mitarbeit in der menschlichen Gemeinschaft geht (zumindest für die, die wachsen wollen) weiter bis ans Ende des Lebens.
Jesus sagt: Christ werden ist auch ein Wachstumsprozeß, Markus 4:30-32. Es ist keine technische Angelegenheit die nur auf einem glänzenden Plan beruht, einer Entscheidung, ihn in die Wirklichkeit umzusetzen, und der richtigen Organisation, um ihn auszuführen. Es gleicht vielmehr einem Samen, den Gott in das Herz der Menschen sät. Wenn er dort Aufnahme und Pflege findet, wächt er still und geschützt, bis er stark genug ist, um für Andere sichtbar zu werden. Christ werden besteht nicht darin, Dich einer Kirche anzuschließen oder Dich an die moralische Maßstäbe christlicher Vorbilder zu halten, sondern darin, Dein Herz den Samen des Wortes Gottes zu öffnen und Sein Wort in Deinem Herzen wachsen zu lassen.
Ebenso, wie eine Mutter eines Tages das neue Leben in ihr wahrnimmt, bemerkst Du irgendwann, daß eines der Worte Gottes, die Du gehört hast, Leben trägt - es macht plötzlich einen Unterschied aus und ist nicht mehr nur ein Gedanke oder ein Satz oder eine Geschichte wie alles andere. Du fängst an, darüber nachzusinnen, um den Platz herauszufinden, den es in Deiner täglichen Routine einnehmen soll. Wenn Du Wert auf eine von Gott gesegnete Zukunft legst, wirst Du dieses Geschenk Gottes zu schätzen wissen und das neu gepflanzte Leben wachsen lassen.
Nach einiger Zeit wirst Du entdecken, daß ein weiteres Wachstum von Gottes Leben in Dir erfordert, daß Du einige Deiner Gewohnheiten änderst, genauso wie eine Mutter sich ändern muß, wenn das Baby in ihr wächst. Einige Mütter können das nicht ertragen; sie wollen ihre bisherige Lebensweise fortsetzen und ziehen es vor, das Kind zu töten, solange es noch legal ist. Dasselbe kann mit dem neuen Selbst passieren, das Gott in Dich gepflanzt hat: Wenn Du Dich nicht verändern willst, kannst Du Dein heranwachsendes neues Selbst töten; niemand wird es bemerken, aber Du hast eine unbezahlbare Gelegenheit verdorben.
Aber wenn Du bereit zur Veränderung bist, kann Gott mit dem Wachstum Deines neuen Selbst weitermachen. Nach einiger Zeit ist es reif, geboren zu werden - ein neues Selbst, das gelernt hat, auf Gott zu hören und die ersten Schritte zu tun, um das Programm auszuführen, das Gottes Wort in es hineingelegt hat. Dann bist Du wiedergeboren. Wie bei einem neugeborenen Kind gibt es noch viele Gefahren und Vieles zu lernen, aber wenn Dein altes Selbst weise ist, wird es Platz machen für das neue Selbst und in dem Maß in den Hintergrund rücken, wie das neue Selbst stärker wird. Und wenn Dein altes Selbst nicht so weise ist, wird das neue Selbst in Gott Unterstützung finden, um um Existenz und Wachstum zu kämpfen. (Hier hört der Mutter-Kind Vergleich auf, angemessen zu sein.)
Ein wiedergeborener Christ weiß, daß sein altes Selbst zum
Sterben verdammt ist und sein neues Selbst ewiges Leben hat; daher
verlagert er seine Kräfte vom Alten zum Neuen.
Ein wiedergeborener Christ vertraut Gott, daß Er ihn auf einem
guten Weg führt, selbst wenn dieser Weg schwierig ist
(Röm. 8:28).
Ein wiedergeborener Christ setzt seinen Ehrgeiz darein, ein guter Diener
Gottes zu sein statt Anerkennung, Wohlstand und Erfolg zu erreichen
(1. Tim. 6:6-12).
Ein wiedergeborener Christ ist nicht nur getauft, sondern versteht die
Bedeutung der Taufe als ein schon der Welt gestorben sein - er hat keine
Verpflichtung mehr, andere Leute zufriedenzustellen, sondern ist frei,
Gott zu Ehren zu leben (Röm. 6).
Ein wiedergeborener Christ macht Gottes Interessen zu seinen eigenen,
und er weiß, daß Gott immer auf seiner Seite ist
(Röm. 8:31-39).
Hmm..., die Wirklichkeit ist nicht ganz so klar abgegrenzt; wiedergeborenen Christen haben Schwächen wie andere Menschen auch. Aber es lohnt sich, nach dem Ideal zu streben; wer nicht darum kämpft, wird nicht gekrönt (2. Tim. 2:4-5), und wer Kompromisse schließt, ist für Gottes Reich nicht geeignet (Offb. 3:15-16).
Arnold Neumaier
Arnold Neumaier (Arnold.Neumaier@univie.ac.at)