Vertrauen


Vertrauen

So wichtig, daß sein Mangel das Leben entwertet,
fast ungreifbar der Sprache, die nach Klarheit sucht.
Das Leben ist immer schwer zu beschreiben.
Man kann nur zeigen: Schau und nimm es wahr!


Wie Leben entsteht

Wo Verletzungen heilen können,
schwindet die Angst. Wo die Angst ihre Macht verliert,
wächst das Vertrauen. Wo Vertrauen herrscht,
wächst die Liebe. Wo liebevoller Umgang herrscht,
gedeiht das Leben. Wo das Leben gedeiht,
heilen alte und neue Wunden.

Also: Handle mit Liebe, und du wirst heilsam sein.
Säe Leben, und du wirst Vertrauen ernten.
Säe Vertrauen, und du wirst Leben ernten.


Angst

Vertrauen heißt zu leben statt zu vegetieren,
wahrhaftig sein und wach sein können ohne Angst -
Angst, zu verletzen und verletzt zu werden,
Angst, überrollt zu werden von der Macht
der Kräfte, die in mir und andern schlummern,
Angst zu versagen, aus der Sicht des andern,
und ungenügend zu erscheinen mir, dem strengen Ich.

Die Angst, die knechtet und vereinsamt,
wird überwunden durch Vertrauen. Doch woher
soll ich den Mut aufbringen, der vertrauen läßt,
wo bittere Erfahrung uns nur Härte lehrt?
Auch wenn die Härte uns nur kälter macht,
dem Leben langsam, unerbittlich, Raum zum Atmen nimmt,
so scheint es uns zwar oft der sich're Weg
zu schützen uns - doch sicher ist der Tod.

Manchmal, da fängt ein neuer Keim in uns
zu wachsen an und gleich - wir schöpfen Hoffnung.
Vielleicht irrational und doch erfüllt von Leben,
wagen wir es, uns noch einmal zu öffnen.
Der Zauber des Vertrau'ns entfaltet seine Wirkung,
solang wir offen sind, sein Wachstum nicht behindern.
Bis uns die Angst wieder in Fesseln schlägt -
die Angst, uns zu verlieren, zu verlieren -,
wir wieder Grenzen zieh'n, uns selbst zu schützen,
und unsre eignen Totengräber werden.


Gedanken

Vertrauen ist vollkommen, wenn man sich ganz öffnen kann, ohne befürchten zu müssen, verletzt oder mißverstanden zu werden.

Dieses Vertrauen kann man andern nicht entgegenbringen, ohne sie sehr gut zu kennen. Ein solches Vertrauen kommt nicht von selbst; es muß erst wachsen aus kleinen Anfängen heraus. Wenn ich mich beobachte, wie ich mit Menschen umgehe, finde ich, daß ich abwäge, wem ich wieviel ohne Schaden sagen oder zeigen kann. Ich riskiere zwar etwas, um andern entgegenzukommen (einen Vertrauensvorschuß), aber nicht allzuviel, dazu hätte ich zuviel Angst. Ja, das Vertrauen muß erst wachsen!

Aber es ist ein sich selbst verstärkender Prozeß: den Versuch, ein Stück zu vertrauen, beantwortet ein würdiger Partner mit einem Zuwachs an Zuwendung, und das motiviert uns, mehr zu vertrauen, usw.. Die Mathematiker wissen, daß so ein autokatalytischer (d.h. sich selbst verstärkender) Hyperzyklus (geschlossener Regelkreis, wie in dem Gedicht `Wie Leben entsteht') zu exponentiellem Wachstum führt (bis schließlich Sättigung eintritt). Jesus drückt das im Gleichnis vom Senfkorn (Matth. 13:21-22) aus, mit dem er das Himmelreich vergleicht: zur Zeit der Saat unscheinbar klein, aber wegen der lebendigen Dynamik bald unübersehbar groß und lebensspendend.

Vertrauen fassen - immer wieder die Angst vor der vergeblichen Investition der Gefühle überwinden.

Wem kann ich vertrauen? Durch Vertrauen liefere ich mich dem aus, dem ich vertraue; das macht Angst - aber Vertrauen nimmt dieser Angst ihre Kraft.

Offen zu sein, ist gefährlich; zu vertrauen erfordert, das Risiko, verletzt zu werden, auf mich zu nehmen; und mit Umsicht, ohne Racheabsichten, zu reagieren, wenn ich verletzt werde. Für große Dinge nehmen Menschen seit jeher Verletzungen in Kauf; fast bei jedem Fußballspiel bekommen wir es vorgeführt.

Waches, nicht blindes Vertrauen ist gefragt, um Illusionen überwinden zu können, ohne die Ideale zu verlieren. Wer mit Illusionen lebt, versagt bald; blindes Vertrauen wird bald enttäuscht, und die eigenen Kräfte sind zu beschränkt, um Luftschlösser lange zu erhalten. Wir müssen uns absichern und doch bereit sein zum Risiko. Vorsichtig tastend herauszufinden, was tragfähig ist, erfordert Wachheit und Aufmerksamkeit. ``Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben'', sagt Jesus (Matth. 10:16). So vertieft sich das Vertrauen und bekommt immer festere Fundamente.

Wem kann ich vertrauen, Menschen? Gott? Der Versuch wird es zeigen. Ohne Wagnis kein Gewinn. Ohne Freiheit von sich selbst sind die Grenzen schon abgesteckt. Ohne Bereitschaft zum Wachsen und zum Leiden verfängt man sich in den Schlingen der Angst oder der Spirale zerstörerischer Anklagen. Ohne Vorausschau ist der Erfolg ein Produkt des Zufalls.


Reflektion

Vertrauen können, angenommen sein,
verstanden werden, mich als wertvoll erleben,
Halt finden und Ermutigung.

Ein Sonnenstrahl der Liebe weckt mein Vertrauen,
geliebt zu werden, gibt mir Kraft und Mut,
widerzuspiegeln das, was ich empfangen,
an andre auszustrahlen, was schon in mir lebt,
zur Reife zu entwickeln das, was angelegt in mir.

Vertrauen schenken, andere annehmen,
zu verstehen suchen, andere wertschätzen,
Halt geben und Mut machen.


Wachsendes Vertrauen

Hoffnung auf Leben, eine zarte Knospe,
zurückfinden zum Punkt, von wo man wachsen kann,
neu werden, neu anfangen,
auftauen in einer Atmosphäre des Glücks,
genießen, frei zu sein und angenommen.

Sich wieder üben in Geduld und Rücksicht nehmen,
zu hören, wahr-zu-nehmen und sich einzufühlen,
sich selbst zu achten und den Partner,
das Ungepflegte wieder pflegen.

Der Traum von Ganzheit wird zur Hoffnung,
der Mut zur Sorgfalt und zur Liebe wächst,
wahrhaftig sein und doch nicht zu verletzen,
wahrhaftig sein und nicht verletzt zu werden.


Liebe

Schenken und sich beschenken lassen.
Sich fallen lassen können, auch wo man verletzbar ist.
An die Grenzen der eigenen Fähigkeiten kommen
Und doch nicht aufgeben.

Der andere: verletzend und doch der, den ich liebe.
Die andere: verletzend und doch die, die ich liebe.
Der andere: verletzt und liebt mich doch.
Die andere: verletzt und liebt mich doch.

Mißverständnisse erkennen und klären.
Sich aussprechen, ohne zu zerstören.
Vergeben statt anklagen; locken statt fordern.
Lieben ist schwer. Lieben heißt leben.


Stellen Sie sich vor ...

Stellen Sie sich vor, sie sind ein junger Mann, nicht besonders ordentlich, und Ihre Freundin will Sie zum ersten Mal zuhause besuchen. `Oh', denken Sie, `was würde sie von mir denken, wenn sie wüßte, wie ich wirklich bin'. Also sind Sie ängstlich und aufgeregt, machen eine besondere Anstrengung, aufzuräumen, verstecken all die schmutzige Kleidung und hoffen, sie würde den Staub in den Ecken nicht entdecken.

Nun liebt sie Ihre Freundin aber wirklich; das macht sie besonders aufmerksam, und natürlich bemerkt sie alles. Mit einem Schmunzeln läßt sie Sie wissen, daß sie dies halb erwartet hat, aber sie sagt, sie sei ja nicht gekommen, mir die Stimmung zu verderben, sondern um die Zeit mit mir zu genießen. Sie sind nicht sicher, ob das wirklich so ist, aber immerhin fühlen Sie sich weniger angespannt.

Das nächste Mal besuchen Sie ihre Wohnung und finden alles sorgfältig hergerichtet. Sie genießen die Atmosphäre, fühlen aber, daß Sie da kaum hineinpassen mit Ihrem primitiven Lebensstil.

Nach einer Reihe gegenseitiger Besuche werden Sie unvorbereitet erwischt: Ihre Freundin kommt unerwartet bei Ihnen vorbei und sieht die Unordnung, in der Sie in Wirklichkeit die ganze Zeit gelebt haben. Sie schämen sich sehr - aber zu Ihrer Überraschung sagt sie zu Ihnen: ``Oh, wie ungemütlich muß das für dich sein; warum räumen wir nicht miteinander auf?''.

Sie denken bei sich, `Sie hat ja keine Ahnung, ich bin schon lange gleichgültig dieser Unordnung gegenüber', aber Sie sagen Ihrer Freundin, ja, das sei eine gute Idee. Also waschen Sie das Geschirr ab, während sie den Boden kehrt und die Möbel abstaubt, und während Sie das tun, unterhalten Sie sich über den letzten Film, den Sie gesehen haben.

Später fällt Ihnen auf, daß es viel schöner ist, der Musik zuzuhören, wenn alles ordentlich ist, und als sie dann heimgeht, finden Sie, daß es ein wirklich toller Tag war. Allmählich fangen Sie an, das Vertrauen zu gewinnen, daß Ihre Freundin wirklich Sie mag und nicht nur Ihre Gewandtheit im Unterhalten und Ihre guten Manieren, und daß Sie nichts vor ihr verbergen müssen.

Und eines Tages hören Sie sich zu ihr sagen: ``Schau, ich weiß, daß Du mich magst und ich Dir etwas bedeute, und Du bist der einzige Mensch, dem ich wirklich vertrauen kann. Du findest Dich nicht mit meinen Mängeln ab, aber Du hast eine so liebevolle Art, mir zu helfen, darüberhinaus zu wachsen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich habe Dich wirklich lieb und würde gerne mein ganzes Leben mit Dir teilen.''

Uns sie erwidert mit Tränen in den Augen, ``Oh, das ist der Tag, auf den ich seit langer Zeit gewartet habe. Ich liebe Dich so sehr ...'', und Ihre Herzen begegnen sich, und alles ist anders als zuvor. Ein neues Leben beginnt. - -


Zu Gott Vertrauen fassen

Ein Christ zu sein ist eine Liebesbeziehung zwischen Gott und uns. In diesem Gleichnis sind wir der Junggeselle, Gott ist die Freundin. Geschrieben habe ich diese Geschichte, um Mut zu machen, daß sich auch ein zuerst von Unsicherheit und Skepsis gekennzeichnetes - und daher nur schwach ausgeprägtes - Vertrauen zu Gott vertiefen kann, indem wir echte Erfahrungen im Umgang mit ihm machen.

Wir alle wissen, daß Gott uns liebt. Aber er will nicht, daß es eine einseitige Sache bleibt. Gott lebt, und er möchte ebenso geliebt werden. Vielleicht sind wir ihm gegenüber schüchtern wegen der Majestät Gottes und unserem unwürdigen weltlichen Lebensstil, oder auch nur, weil wir ihn kaum kennen, und so halten wir Abstand. Und wenn wir kommen, um ihm zu begegnen, setzen wir unser bestes Selbst auf und unterdrücken die dunkle Seite in uns, weil wir wissen, daß wir in seiner Gegenwart heilig sein sollen.

Aber er ist an uns interessiert, nicht an der Fassade, die wir ihm präsentieren, und mit liebevoller Sorgfalt und einfühlsamer Direktheit zeigt er uns, daß er unser verwirrtes Leben kennt, und er gibt uns Ansporn, Mut und Hilfe zur Veränderung.

Ja, er will, daß wir heilig leben, und in seiner Gegenwart fühlen wir uns völlig bloßgestellt. Aber er hat eine so liebevolle Art, daß wir anfangen, uns zu ändern. Die aus Versagen und Verzweiflung geborene Gleichgültigkeit macht einem Wunsch nach Erneuerung Platz, und, allmählich oder ganz plötzlich, stellen wir fest, daß wir zu ihm gehören wollen, daß er unser Herz gewonnen hat.

Dies ist die frohe Botschaft, von der Jesus erzählt, wenn er predigt:
``Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen'' (Matth. 4,17).
``Ich sage euch, es herrscht Freude bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut'' (Luk. 15,10).

Und alles ist anders als zuvor. Ein neues Leben beginnt.
``Deshalb, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, schaut! - Neues ist geworden.'' (2. Kor. 5,17).

Arnold Neumaier


Gedanken zum Leben als Christ
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Arnold Neumaier (Arnold.Neumaier@univie.ac.at)