Arnold Neumaier

Wahrheit und Vertrauen - ein Mathematiker redet von Gott

Überarbeitete Fassung eines Vortrags an der Universität Kaiserslautern
gehalten am 24. April 1991


Dieser Text war früher (leicht gekürzt und weiterbearbeitet, ohne die Diskussion am Schluss) als Heft miniporta 7 der Studentenmission in Deutschland (SMD) erhältlich.

``Die Wahrheit wird euch freimachen''

Ich komme aus Freiburg - Freiburg hat eine alte Universität und ein altes Kollegiengebäude. Aussen am Kollegiengebäude steht über dem Portal ein Satz, der heißt ``Die Wahrheit wird euch freimachen''. Die Gründer der Universität haben diesen Satz als Motto der Wissenschaft betrachtet. Aber heutzutage ist die da gemachte Aussage nicht mehr ganz so selbstverständlich. Zwar verkörpert die Wissenschaft für viele Wahrheit, aber zugleich fühlen sich viele von dieser Wissenschaft in mancher Hinsicht geknechtet. Wir müssen den Dingen nachrennen, um wieder in Ordnung zu bringen, was wir versäumt und verschuldet haben in der Anwendung dessen, was die Wissenschaft an unerwünschten Begleiterscheinungen und an Möglichkeiten des Mißbrauchs hervorgebracht hat.

Vielleicht lohnt es sich, den Zusammenhang anzusehen, aus dem das Zitat stammt. Es stammt aus der Bibel, und zwar aus dem Johannes-Evangelium. Da die Bibel für viele heutzutage weitgehend fremd geworden ist, möchte ich hier etwas daraus vorlesen, und auch nachher noch manche Sachen zitieren. Der Kontext, um den es hier geht, ist ein Gespräch von Jesus mit den Leuten. Da sagt er: '''Wenn ihr den Menschensohn kreuzigen werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich von oben gesandt bin und nichts von mir selber tue. Sondern wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich, und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er läßt mich nicht allein, denn ich tue immer, was ihm gefällt'. Als er das sagte, glaubten viele an ihn. Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: `Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen'. Da antworteten sie ihm `Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knechts gewesen. Wie sprichst Du dann, ihr sollt freiwerden '? Jesus antwortete ihnen und sprach: 'Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus, der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei''' (Johannes 8,28-36).

Ich will das jetzt einfach mal so stehen lassen, und Sie können sich Ihre eigenen Gedanken dazu machen. Nur eine Bemerkung: Jesus sagt: 'Gott, der, der mich gesandt hat, ist mit mir; er läßt mich nicht allein, denn ich tue immer, was ihm gefällt'. Das ist auch das, was ein Christ will, wonach er sich sehnt, worum er sich kümmert, daß er zu jeder Zeit tut, was Gott gefällt. Daraus schöpft er dann Freude und Rückgrat in seinem Leben, den Sinn, um sein Leben gestalten zu können und den Frieden, der ihm ermöglicht, die Wendungen, die das Leben so nimmt, zu überwinden und zu bewältigen.


Wahrheit und Vertrauen in der Wissenschaft

In diesem Vortrag soll es um Wahrheit und Vertrauen gehen. In der ersten Hälfte meines Vortrags möchte ich besprechen, was Wissenschaft mit Wahrheit und Vertrauen zu tun hat. Die zentrale These ist, daß Wissenschaft einerseits auf Wahrheit, andererseits aber ebenso auf Vertrauen beruht. Als Mathematiker bin ich an Definitionen von Begriffen interessiert; ich werde Ihnen als Ausgangspunkt die folgende Definition anbieten, die ich danach etwas ausführe. Und zwar möchte ich die Wahrheit als das Wissen um das Sichere beschreiben, und das Vertrauen als das sich Verlassen auf das Zuverlässige.

Wissenschaft beruht auf
WahrheitundVertrauen
Wissen um das Sichere sich Verlassen auf das Zuverlässige
2 + 2 = 4 tau_Neutron = 898+-16s
E = mc^2 Delta x Delta p >= hquer
Beweis Bewertung
Wahrheitswerte Wahrscheinlichkeiten, Vertrauensbereiche
Sicherheit Risiko
exakte Angaben Mittelwerte
Logik, Analysis Wahrscheinlichkeitstheorie, Statistik

Den Unterschied zwischen den beiden Begriffen können wir sehen, wenn Sie sich die beiden Spalten in der Tabelle hier ansehen: auf der einen Seite die sprichwörtliche Wahrheit, ''Zwei plus Zwei ist Vier, die jedem hier wohl einleuchtend ist, und auf der anderen Seite ''tau-Neutron gleich 898 plus/ minus 16 Sekunden": etwas, was man ziemlich genau weiß, aber eben doch nicht so genau - und wo man dann das Maß der Zuverlässigkeit durch Plus und Minus angibt; im konkreten Fall die Lebensdauer von Neutronen, die ich aus dem Physikbuch abgeschrieben habe.

Nun gibt es nicht bloß mathematische Wahrheiten, es gibt auch physikalische Wahrheiten. Eine steht links, die kennen Sie wahrscheinlich alle, das ist Einstein's berühmte Beziehung ''E gleich m-c-Quadrat'' zwischen Energie und Masse. Auf der rechten Seite haben wir etwas entsprechend Wichtiges, aber vielleicht nicht ganz so Bekanntes, das ist die Heisenberg'sche Unschärferelation ''Delta-x mal Delta-p ist größer oder gleich h-quer''. Diese sagt etwas ganz Grundsätzliches über die Natur der physikalischen Wahrheit aus, nämlich das folgende: Obwohl die Wissenschaft sich bemüht, genau zu sein, sind ihr Grenzen gesetzt, die sie nicht überschreiten kann. Im hier vorliegenden Fall kann man die Ungenauigkeiten Delta-x in der Ortsmessung und die Ungenauigkeiten Delta-p in der Impulsmessung nicht beliebig klein machen, indem man zunehmend genau mißt. Sondern die Naturgesetze ziehen mit dem Planck'schen Wirkungsquantum h-quer prinzipielle Grenzen für das Produkt der Ungenauigkeiten. Man muß sich also mit dem, was man über die Natur in Erfahrung bringen kann, wieder auf weniger Sicheres zurückziehen, auf Statistik und so. Damit wird aus dem Wissen um das Sichere eben ein sich-Beschränken auf das, was noch zuverlässig erscheint.


Beweis und Bewertung

Auf einer mehr theoretischen Ebene ist Wahrheit dadurch gekennzeichnet, daß man wahre Aussagen beweisen kann, während Vertrauen dadurch gekennzeichnet ist, daß man Aussagen bewertet und sie je nachdem als mehr oder weniger zuverlässig ansieht. Das entspricht auf der mathematischen Ebene einerseits den Wahrheitswerten Null und Eins, man kann also sagen, das eine ist wahr (Eins), das andere ist falsch (Null). Auf der Vertrauensebene hat man statt dessen nur noch Wahrscheinlichkeiten, die dann zu Vertrauensbereichen führen, wie dem oben angegebenen für die Lebensdauer des Neutrons. Man kann angeben, ich halte es für wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, daß die Lebensdauer so oder so groß ist, und dazwischen gibt es einen gewissen Grenzbereich, der angibt, in welchem Bereich man gerade noch zufrieden ist, wenn die behauptete Tatsache soweit mit der Wirklichkeitüberein stimmt. Entsprechend hat man auf der Wahrheitsseite Sicherheit und mathematische Exaktheit; auf der Vertrauensseite hat man Risiko und Mittelwerte. Dieser Unterschied in der Wortwahl ist kennzeichnend, und weist auf zwei ganz verschiedene Haltungen hin. Tatsächlich sind auch ganz unterschiedliche Hilfsmittel nötig, wenn man versucht, die beiden Welten wissenschaftlich zu erfassen: Die Welt der Wahrheit und der Sicherheit wird mathematisch durch die Logik und die Analysis erfasst, die Welt des Vertrauens und des Risikos durch die Wahrscheinlichkeitstheorie und die Statistik.


Axiome

In beiden Fällen, ob es sich um Wahrheit handelt oder um Vertrauen, muß man Annahmen über die Wirklichkeit machen. Diese Annahmen über die Wirklichkeit, mathematisch formuliert, sind auf der Wahrheitsseite die Axiome, Grundsätze, die als gültig vorausgesetzt werden. Auf der Vertrauensseite muß man, wenn man mathematisch präzise sein will, als Grundlage Wahrscheinlichkeitsverteilungen festlegen, die ebenfalls als gültig vorausgesetzt werden. Man nimmt also an, man wisse, was am wahrscheinlichsten ist, was weniger wahrscheinlich und was ziemlich unwahrscheinlich. Beides sind Annahmen über die Wirklichkeit, die derjenige, der die Wirklichkeit zu beschreiben versucht, einfach trifft; die er in der Absicht auswählt, die Wirklichkeit möglichst gut zu treffen, aber die grundsätzlich nicht bewiesen werden. Wenn Sie Mathematik studiert haben, dann wissen Sie, daß z.B. die Axiome für die reellen Zahlen in den meisten Büchern einfach so hingestellt werden, mit etwas Motivation, aber ohne Beweis. Die Bücher, die die Regeln für die reellen Zahlen beweisen, setzen dafür die Axiome für die natürlichen Zahlen ohne Beweis als richtig voraus. Die Axiome fallen gewissermaßen vom Himmel - der berühmte Mathematiker Kronecker hat zu Anfang des 20. Jahrhunderts einmal gesagt: ''Die natürlichen Zahlen hat Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.'' Wir gehen einfach von den Axiomen aus; wer das nicht mag, der kann keine Mathematik machen.

Aber natürlich ist es nicht so, daß die Axiome für die reellen Zahlen einfach so erfunden worden sind; sondern sie haben sich in historischen Prozessen herausgebildet und als sehr brauchbar und zuverlässig erwiesen. Das ist genau das, was in der Wissenschaft überall passiert im Laufe ihres Fortschreitens. Mathematische Axiome, aber auch die Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die ein Physiker benützt, um etwa den Strahlungshintergrund vom Weltall zu beschreiben und mit seinen Theorien in Einklang zu bringen, beide müssen sich bewähren, um vertrauenswürdig zu sein. Und sie müssen vertrauenswürdig sein, um zuüberleben - sonst entstehen neue, bessere Theorien, die dann eher akzeptiert werden, und die alten werden verworfen.


Falsifikation

Vom philosophischen Standpunkt aus gibt es hier das Falsifikations-Prinzip, dem gemäß zusätzliche Bestätigungen von Behauptungen nicht sehr viel zählen, Widerlegungen von Behauptungen dafür umso mehr. Von dem Philosophen Popper wird das sogar zum entscheidenden Kriterium für echte Wissenschaft gemacht, ob eine Theorie in vorher ungeprüften Bereichen zu Behauptungen führt, die a priori - d.h. vor Untersuchung der Theorie - riskant erscheinen, sich aber bei anschließender Nachprüfung trotzdem bewähren. Andere, so der Wissenschaftshistoriker Kuhn, haben gezeigt, daß reale Wissenschaft nicht ganz diesem idealen Kriterium entspricht, da viele Theorien nützlich sind, obwohl man weiß, daß sie nicht überall richtige Vorhersagen machen. Was an Poppers Prinzip aber universell gültig bleibt, ist, daß eine Theorie, die sich immer wieder nicht bewährt, nicht mehr weiterverfolgt wird, sobald eine zuverlässigere am Horizont erscheint.


Maßstäbe

Es bleibt trotzdem die Frage, woher die Annahmen kommen, die man zu Axiomen macht. Ich habe eine Antwort darauf schon kurz angesprochen und möchte noch einmal ausführlicher darauf eingehen. Vier Quellen möchte ich ansprechen. Als erste die Tradition - man vertraut auf das, worauf die Lehrer oder die Eltern schon immer vertraut haben. Als nächste die Intuition - man hat ein Gefühl für die Sache, setzt sein Gefühl in Gedanken um, und hofft, daß die Intuition trägt. Dann die Relevanz - es gibt Unterschiede, wichtigere Dinge und unwichtigere Dinge; indem man das, was das Wichtige erklärt und verbindet, allem zugrunde legt, findet man oft den Kern der Sache. Schließlich die Eleganz - manche Sachen sind schöner, lassen sich leichter vermitteln oder begeistern die Hörer eher, andere Sachen nicht so; und was Begeisterung weckt, hat eher Aussichten, von Anderen übernommen zu werden.

Weitere Kriterien, die darüber entscheiden, was für Annahmen man trifft, liegen in persönlichen oder in kulturellen Entwicklungen begründet. Dinge, denen man immer wieder begegnet, werden als auffällig und als wichtiger empfunden, vor allem, wenn man darauf angewiesen ist, vor auszuplanen, also die Zukunft vorherzusehen. Und wenn man darauf angewiesen ist, Entscheidungen zu treffen -, gute Entscheidungen, die in einer unsicheren Umwelt darauf beruhen, daß man möglichst zuverlässige Vorhersagen treffen kann - , in diesem Rahmen ist dann Bewährung und Erfolg ein entscheidendes Beurteilungskriterium.


Qualität

Wenn man sich ansieht, was all diese Stichworte gemeinsam haben, so sieht man, daß die Qualität der Axiome darüber entscheidet, welches Urteil man über die Annahme von Axiomen fällt. Qualität ist natürlich etwas Subjektives und Kontroverses, und solche Dinge werden normalerweise in einer wissenschaftlichen Vorlesung nicht diskutiert, sondern sie stehen irgendwo im Hintergrund. Sie stehen gerade deshalb im Hintergrund, weil sie subjektiv und kontrovers sind, weil jeder anders darüber denkt. Es ist effektiver und sicherer, wenn man sich auf das beschränkt, was man zuverlässig weitergeben kann - und das sind eben die rein sachlichen Dinge, das sind die Ergebnisse der Theorie.

Aber für das Leben des Einzelnen, der eine Zukunft vor sich hat, die er planen muss, und der sich Gedanken machen will, damit er den bestmöglichen Gebrauch von der Welt und von seinem Leben macht, - für das Leben des Einzelnen spielen solche Fragen eine grössere Rolle, und es ist schade, dasssie in der normierten Welt des Studiums oft zu kurz kommen.

Deshalb ist es interessant zu sehen, daß sich das Subjektive und Kontroverse, nämlich das Qualitätsproblem, ganz zentral mitten in der objektiven Welt der Wissenschaft vorfindet. Auf der Grenzlinie zwischen subjektiv und objektiv, - daß man die Wissenschaft einerseits als objektiv erlebt, und daß andererseits die Wissenschaft in ihren Grundlagen oft auf subjektiven und manchmal vielleicht auch fragwürdigen Annahmen beruht, - auf dieser Grenzlinie spielen sich all die zentralen philosophischen Fragen ab, die die Physik beispielsweise sogar für Laien interessant macht, weil man da spekulieren kann: Was ist eigentlich die Ursache der Welt? Warum sind die Naturgesetze gerade so und nicht anders? Wieviel kann man über die Welt eigentlich erfahren? Ist alles zufällig oder determiniert? Warum herrscht eigentlich soviel Regelmäßigkeit und Schönheit in der Welt, und so dicht dabei Unordnung und Chaos? Was ist eigentlich Leben, ein Atom, ein Kristall?


Interpretation

In jedem Fall ist nötig, um den Schritt zwischen der Wissenschaft und der Wirklichkeit zu tun, daß man eine Interpretation vornimmt, daß man das, was man lernt, überträgt auf die Wirklichkeit. Das kann man auf zwei Ebenen machen, einerseits theoretisch und andererseits experimentell. Der Theoretiker studiert die Axiome, die in der Mathematik mehr oder weniger willkürlich - bei genauerem Hinsehen aber meist gut motivierte - gewählte Axiome, und in der Physik bewährte Naturgesetze sind. Er hinterfragt diese normalerweise nicht, sondern sagt: so ist es. Zum Beispiel kann er sagen, die Quantentheorie ist d i e Theorie der Wirklichkeit. Zwar weiß er, da gibt es noch irgendwo Probleme, aber das ist ihm zunächst nicht so wichtig. Für seine Untersuchungen ist das ein Axiom, und gestützt darauf zieht er seine Folgerungen, das sind die Vorhersagen der Theorie.

Was man in der Physik noch sehr gut machen kann, wird aber in anderen Bereichen problematisch. Betrachten wir etwa die Wirtschaftswissenschaften: Wenn man da Vorhersagen machen soll, welche politischen Mittel etwa die Arbeitslosigkeit am wirksamsten bekämpfen, dann sind die Vorhersagen schon sehr viel fragwürdiger. In der Regel deshalb, weil die Axiome, die man der Vorhersage zugrunde legt, entsprechend fragwürdig sind.

Auf der anderen Seite gibt es dann die Experimentalisten, die nehmen das, was die Theoretiker an Modellen zur Verfügung stellen, und prüfen, ob diese in Situationen etwas taugen, die für die Praxis interessant sind. So spielen beide, Theorie und Experiment, zusammen, und verbinden Wissenschaft und Wirklichkeit miteinander.


Vorurteile

Jetzt wage ich hier, die Axiome und die Naturgesetze als Vorurteile zu bezeichnen, die ein Mensch - oder besser die Menschheit - hat. Aber unter Vorurteil verstehe ich zunächst nichts Negatives, sondern das, was es dem Wortsinn nach bedeutet - ein Vor-Urteil, d.h. ein Urteil, bevor Sie selbst beobachtet haben. Ein Großteil von dem, was Sie in Ihrem Studium lernen, sind Dinge, die Sie von anderen Leuten übernehmen. Diese Dinge übernehmen Sie, b e v o r Sie mit der Wirklichkeit, nämlich mit der Anwendung, konfrontiert werden, die erst danach anfängt - im Praktikum, bei der Diplomarbeit oder im Beruf. Insofern ist es ein Vor-Urteil, etwas, was Sie gebildet haben, bevor Sie es nutzen müssen. Und die Frage ist nicht so sehr, ob man Vorurteile hat oder nicht, weil jeder Mensch Vorurteile hat. Fast alles, was ein Mensch tut, beruht auf Vorurteilen, denn nur bei einem geringen Bruchteil davon hat er die Gelegenheit, sie in seinem Leben wirklich auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen.

Aber es kommt darauf an, daß man die Vorurteile, die man hat, nicht willkürlich aufnimmt, sondern daß man sie überprüft und der Wirklichkeit anpaßt. Das geschieht in der wissenschaftlichen Tradition - das wird überall gemacht, und man macht es selbst dort, wo die Theorien nicht ganz zur Wirklichkeit passen: dann fängt man an, die Interpretation ein bißchen zuändern. In gewissem Sinne spielt man mit gezinkten Karten, man betreibt ''Datenmassage'' in dem Sinn, daß man die Daten so lange hin- und herschiebt, bis sie in etwa dem entsprechen, was man will. Das kann eine sehr fragwürdige Angelegenheit sein, es kann aber auch sehr sinnvoll sein. Denn das Ziel jeder Theorie ist ja, daß man etwas über die Wirklichkeit damit aussagt. Es kommt vor allem darauf an, ob man mit den Daten betrügen will, oder ob man mit den Daten die Wirklichkeit erfassen will - und das entscheidet dann darüber, wie man die Daten ''massiert''.

Auf alle Fälle entscheiden die Axiome und die Interpretation oft über das, was wir als Wirklichkeit in Betracht ziehen. Die Wirklichkeit ist irgendwie, und jeder Mensch findet eine gewisse Approximation zu der Wirklichkeit, ein persönliches Weltbild. Ein solches Weltbild stimmt mit der Wirklichkeit mehr oder weniger überein: in den Fragen, in denen es einem persönlich besonders wichtig ist und in denen man schon viele schlechte Erfahrungen gemacht hat, stimmt es normalerweise besser überein, weil man seine Fehler teuer bezahlt hat; in den Bereichen, wo jemand kaum eigene Erfahrungen hat, sind die Vorstellungen meist nur im Groben richtig, und manchmal haarsträubend falsch.


Axiome prägen die Wirklichkeit

In der Geschichte der Wissenschaft ist es genauso gegangen. Die Axiome haben darüber entschieden, was man als Wirklichkeit in Betracht zieht. Ich möchte hier einige wenige große Schritte hervorheben. In der Antike hat man an exakter Wissenschaft im wesentlichen die Geometrie gehabt, so wie sie Euklid aufgebaut hat - die synthetische Geometrie. Man hat die Wirklichkeit im Lichte dessen, was man denken konnte, interpretiert. Punkte, Geraden und Kreise galten als die vollkommenen und daher grundlegenden Gestalten, und die Griechen haben daraus das heute veraltete, aber damals sehr erfolgreiche geozentrische Weltbild gemacht. Das war als die Wirklichkeit anerkannt, weil man es sich anders nicht vorstellen konnte, weil die gewählten Axiome (der vollkommenen Figuren) keine andere Wahl mehr zuließen. Der Name des Ptolemäus steht für dieses System, weil dieser es durch zunehmend kompliziertere Korrekturen den steigenden Genauigkeitsansprüchen der Astronomen anpaßte.

Später, im 17. Jahrhundert, ist mit Descartes die analytische Geometrie aufgekommen, und damit mathematische Hilfsmittel, die einem erlauben, mit geometrischen Gestalten präziser umzugehen. Kurz zuvor war Kepler darauf gekommen, daß sich die Planeten auf Ellipsen statt auf immer mehr korrigierten Kreisen bewegen. Weil durch die analytische Geometrie eine sehr viel größere Vielfalt von Formen der Berechnung zugänglich geworden sind, hat man im Kreis bald nichts mehr besonders Vollkommenes gesehen; die Ellipse hat die Wirklichkeit der Planeten besser beschrieben, und ist deshalb schnell akzeptiert worden. Die damit gewonnene Freiheit in der Formulierung von Axiomen wurde in der Folgezeit immer wieder dazu genutzt, das Weltbild neuen Ausdrucksmöglichkeiten anzupassen, indem man die Grundlagen neu formulierte.

TheorieWirklichkeit
synthetische Geometrie (EUKLID, PTOLEMÄUS) Punkte, Geraden, Kreise
analytische Geometrie (KEPLER, DESCARTES) vielseitige geometrische Formen
Analysis (NEWTON) Lösungen von Differentialgleichungen
nicht-euklidische Geometrie (RIEMANN, EINSTEIN) gekrümmter Raum, Urknall
Stochastik (BOLTZMANN, HEISENBERG, PRIGOGINE) Zufall, Selbstorganisation

Noch einmal 50 Jahre später hat Newton, der zugleich Mathematiker und Physiker war, die Analysis entwickelt. Die Analysis bietet Möglichkeiten von vorher ungeahnter Vielfalt und Präzision, kontinuierliches Geschehen zu beschreiben, Bewegungsvorgänge zu modellieren. Mathematisch werden Bewegungen seither durch Lösungen von Differentialgleichungen dargestellt. Dadurch, da ß Newton die Wirklichkeit im Lichte seiner neuen Axiome und Methoden gesehen hat, hat er das Gravitationsgesetz und die Grundgleichungen der Mechanik - die sich Jahrhunderte lang bewährt haben und auch heute noch in vielen Anwendungen bewähren - gefunden.

Später gab es dann Mathematiker, die die sogenannte nicht-Euklidische Geometrie erfunden haben, zunächst als ein Spielzeug bzw. als eine Antwort auf eine alte philosophische Frage, die ich hier nicht weiter erläutern will. Einstein hat diese dann dazu benutzt, um die Physik noch ein bißchen näher an die Wirklichkeit heranzubringen, indem er postuliert hat, daß der Raum gekrümmt ist. Eine der Konsequenzen, die wir heute daraus ziehen, ist die, daß allgemein angenommen wird, die Welt sei mit einer großen Explosion ins Sein gekommen.

Die letzte Revolution in den Grundannahmen der Physik ist mit der Einführung von stochastischen Methoden, von Methoden des Zufalls gekommen, die ich mit Namen wie Boltzmann, Heisenberg und Prigogine verbinden will. Dabei geht es darum, das, was zufällig ist, was man nicht so in der Hand hat, trotzdem in den Griff zu bekommen. Solange das Zufällige nur das war, worüber man nichts sagen konnte, war es sinnlos, darauf irgendwelche Theorien aufzubauen. Aber dadurch, daß der Zufall mathematisch faßbar geworden ist, konnte man - trotz Zufall - Wissen daraus gewinnen. Das hat zu Vorstellungen der Selbstorganisation geführt, die heute noch sehr aktuell sind, und wo die genauen Konsequenzen der darauf basierenden Vorstellungen noch ausgearbeitet werden, von vielen Leuten auf der ganzen Welt. Es ist eines der interessantesten Entwicklungsgebiete der heutigen Physik, Chemie und Biologie.


Grenzen der Theorie

So löst also ein Axiomensystem das andere ab, und man sieht: je nachdem, was für Denkvorstellungen, was für Annahmen man der Welt zugrundelegt, bekommt man eine andere Vorstellung von der Wirklichkeit. Solche Wechsel in der Theorie beruhen in der Regel darauf, daß man merkt, daß eine Theorie Grenzen hat und daß man eben doch nicht alles so gut er klären kann. Wenn dann, wie ich vorhin erzählt habe, der Versuch, die Theorie mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, immer weniger glückt, die Datenmassage immer unglaubwürdiger wird, und die Widersprüche sich nicht mehr unter den Teppich der Interpretation kehren lassen, - dann irgendwann merkt man, daß die bisherige Theorie einem Prokrustes-Bett gleicht.

Falls Sie mit dem Prokrustes-Bett nichts anfangen können, möchte ich Sie an eine alte Geschichte erinnern. Prokrustes, das war ein Riese aus der griechischen Mythologie, ein Wegelagerer, der die Leute, denen er begegnete, zu sich in seine Höhle zum Übernachten einlud. Er hatte ein kurzes und ein langes Bett; die langen Leute hat er in das kurze Bett gesteckt und ihnen die Beine abgehackt, die kurzen Leute hat er in das lange Bett gesteckt und ihnen die Knochen auseinandergerissen, damit beide zu dem Bett paßten. Genau das ist es, was man in der Praxis versucht, mit einer Theorie zu machen, die nicht wirklich paßt. Man will - im Bild gesprochen - das Bett und den Menschen aneinander anpassen, und wenn man solche Gewalt übt wie Prokrustes, dann geht es eben schief. Früher oder später hat man kein Vertrauen mehr in solche Betten; man möchte passende Betten haben. Das führt dann dazu, was die Wissenschaftstheoretiker einen Paradigmenwechsel nennen, daß irgend jemand kreativ genug wird, um eine neue Vorstellung von der Welt zu präsentieren, die besser angepaßt ist.


Komplexität und Einmaligkeit

Dann gibt es noch eine zweite Grenze der Theorie: Außer den Theorien, die sich als schlecht mit der Wirklichkeit verträglich erweisen, gibt es auch Aspekte der Wirklichkeit, die sich mit jeder Theorie schlecht vertragen, weil sie dermaßen kompliziert sind, daß man nichts mehr Genaues sagen kann. Statt noch nach der genauen Wahrheit zu suchen, muß man immer mehr das Wissen über die Wahrheit durch das Vertrauen in das Zuverlässige ersetzen, und die Theorien nehmen vollends Wahrscheinlichkeitscharakter an.

Und dann gibt es so komplexe Systeme, über die man nur noch ganz wenig sagen kann, weil alles, was man beobachtet, einmalig ist oder zumindest die interessantesten Aspekte einmalig sind. Zu diesen komplexen Systemen gehört vor allem der Mensch. Wenn man mit Einmaligem zu tun hat, dann ist das Vertrauen nicht einmal mehr statistisch faßbar, sondern dann ist das einzige, was man noch machen kann, der Versuch, eine qualitative Regelmäßigkeit in all dem Einmaligen zu erkennen. Genau das tun wir alle, wenn wir andere Leute kennenlernen. Wir versuchen herauszufinden, wie ist der oder die denn eigentlich, und wir stellen fest, es gibt bestimmte regelmäßige Züge, die dann den Charakter eines Menschen ausmachen. Aus dem, was an einem Menschen regelmäßig ist, erschließen wir, ob er Vertrauen verdient und wieviel Vertrauen er verdient. Das ist dann alles, was an Vorhersagekraft noch übrig bleibt.

So findet - von der Ebene der Mathematik, in der man alles exakt bestimmen kann, über die Physik, in der man vielleicht noch sehr viel Genaues sagen kann, über die Biologie, in welcher die Fülle der Erscheinungen die Fähigkeit zum Ordnen schon fast übersteigt, bis hin zum Menschen - eine zunehmende Verschiebung von der linken Seite der Wahrheit zur rechten Seite des Vertrauens statt. Das menschliche Miteinander wird vor allem durch das Ausmaß an Vertrauen oder Mißtrauen gekennzeichnet, das man einander entgegenbringt.


Hat Gott in einer von Wissenschaft geprägten Welt noch Platz?

Jetzt möchte ich die Frage stellen, ob Gott in einer von Wissenschaft geprägten Welt noch Platz hat. Diese Frage wird oft verneint; sie wird oft gedankenlos verneint, von manchen auch trotz vieler Gedanken. Von mir wird sie bejaht; aber die Tatsache, daß man da unterschiedlicher Meinung sein kann, deutet schon darauf hin, daß es darauf ankommt, welche Axiome wir anerkennen, nämlich was wir als Annahmen über die Welt zugrunde legen. Nun ist jeder Mensch frei, in seiner Auffassung der Welt beliebige Annahmen zugrunde zu legen. Aber wenn er von schlechten Annahmen ausgeht, dann leidet er darunter, daß er damit die Wirklichkeit nicht in den Griff bekommt, und deshalb sucht jeder nach guten Annahmen. Auf der wissenschaftlichen Seite hat man Kontrollmöglichkeiten durch wiederholbare Experimente. Auf der Seite des Persönlichen geht das wegen der Einmaligkeit der Persönlichkeiten nicht so gut; deshalb ist die Vielfalt der Annahmen, die in der Welt der Menschen und in der Welt des Glaubens getroffen werden, sehr viel größer als im Bereich der Wissenschaft.

Wir wollen jetzt wie in der Wissenschaft nicht nach dem Beweis der Axiome fragen, weil das - wie gesagt - nicht geht. Sondern wir fragen danach, wie sich die einmal ausgewählten Axiome in der Praxis bewähren. Wenn sie sich gut bewähren, kann man zufrieden sein; wenn sie sich schlecht be währen, ist man unzufrieden und versucht, die Axiome zuändern.

''Prüfet alles, und das Gute behaltet (1. Thess. 5,21) Diese Empfehlung des Apostel Paulus ist die charakteristische Haltung, mit der alle erfolgreiche Wissenschaft abläuft. Nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch im persönlichen Leben jedes Menschen ist diese Haltung fruchtbar und wohltuend, die Paulus in einem - in der Bibelüberlieferten - Brief an Freunde in Thessalonich - heute Saloniki - in Griechenland schreibt. Das ist eine Maxime, die ich, schon bevor ich Paulus gelesen hatte, interessant fand, und ich habe versucht, sie in meinem Leben anzuwenden. Nach längerer Zeit der Suche habe ich die Bibel als zuverlässige Grundlage der Gotteserkenntnis erlebt, aber das war nicht immer so. Ich war lange Jahre Atheist; ein nachdenklicher Atheist, der sich viele Gedanken darüber gemacht hat, wie die Welt wohl sein könnte und was die Rolle der Menschen ist, und ich hatte keinen Platz darin für Gott gesehen. Ich hielt Gott für eine Erfindung des Menschen - sicher eine gelungene Erfindung, da sie vielen Menschen eine Stütze gibt, wie ich beobachtet hatte -, aber etwas, was einem Wissenschaftler eigentlich nicht angemessen war. Erst im Laufe der Zeit habe ich Gott anders erlebt. Es war wirklich eine Überraschung für mich, zu erfahren, wer er wirklich ist! Deshalb möchte ich die zweite Hälfte meines Vortrags unter das Stichwort stellen: 'Gott ist anders als wir denken'.


Gott ist anders als wir denken

Wer keine persönliche Erfahrung mit Gott gemacht hat, der trägt ein Gottesbild mich sich herum, das durch das geprägt ist, was er so gehört hat und was er an Menschen, die Gott mehr oder weniger verzerren, erlebt hat. Er hat vielleicht Christen gekannt, die ihm alles andere als ein Vorbild waren und hat dann daraus geschlossen, daß Gott auch so sein müßte. Wer Gott aber dann näher kennenlernt, merkt, daß er sich getäuscht hat. Es geht so ähnlich, wie wenn man Menschen kennen lernt. Wen man nicht kennt oder nur ein paarmal gesehen hat, beurteilt man nach oberflächlichen Eindrücken, danach, wie er in der Masse erscheint, was man ihn so reden hört, was andere über ihn reden. Wenn man jemanden dann persönlich kennenlernt und seine oder ihre Freundschaft gewinnt, dann sieht man diesen Menschen in einem anderen Licht. Dann wird das Gerede der Anderen und die anonyme Maske belanglos, und man erkennt den tatsächlichen Wert oder Unwert der Person. Im Falle Gottes stellte es sich für mich als sehr wertvoll heraus, ihn kennenzulernen.

Ich möchte nun eine Reihe von Punkte herausgreifen, in denen Gott anders ist, als wir es uns vielleicht denken.


Gott ist einmalig

Da Gott einmalig ist, ist er wissen schaftlich nicht fassbar. Denn wie wir gesehen haben, entzieht sich das Einmalige der wissenschaftlichen Methode; diese braucht, um überhaupt etwas nachprüfen zu können, die Regelmässigkeit. Andererseits ist er immer der Gleiche, und das kann man erleben -und deshalb ist er vertrauenswürdig, so wie uns auch Menschen, die in all ihrer Einmaligkeit und Unvorhersagbarkeit doch beständig und besonnen sind, als vertrauenswürdig erscheinen.


Gott ist wie eine Person

Wenn man hört und sieht, wie die Bibel von Gott redet und wie Menschen, die Gott kennen, von ihm reden, dann ist er in vieler Hinsicht wie eine Person. Er handelt, er denkt, er urteilt, er plant, er freut sich, er leidet, er hat Vorlieben, er hat Abneigungen, er liebt und haßt, er tut dies und tut jenes, wie eine Person. Ob Gott tatsächlich eine Person ist, das ist jenseits unseres Fassungsvermögens; er ist in anderer Hinsicht viel mehr als eine Person. Aber es ist ein sehr guter Vergleich, Gott als Person zu nehmen; und da wir, wenn wir über Gott reden, eine Sprache gebrauchen müssen, die uns zu gänglich ist, ist die Sicht Gottes als Person die fruchtbarste. Es gibt auch andere Vorstellungen von Gott, Gott als abstraktes Prinzip. Wenn man aber solche Vorstellungen zugrunde legt, dann bleibt Gott einem unzugänglich, hohl und leer, und er wirkt sich nicht auf die persönliche Lebensgestaltung aus. Den Menschen mit einem solchen Gottesbegriff wird Gott wertlos, es kommt ihnen nicht mehr darauf an, ob sie sich mit Gott auseinandersetzen oder nicht, und dann lassen sie es irgendwann bleiben. Aber die Bibel redet von Gott nicht so. Sondern mit der Einschränkung, die ich vorhin genannt habe, ist Gott für die Autoren der Bibel eine Person.


Gott ist mächtig

Gott hat die Welt erschaffen, die wir erleben und in der wir leben, und er erhält sie bis heute. Und zwar glaube ich im Einklang mit der Bibel, daß er sich im Rahmen der Naturgesetze um alle nötigen Details kümmert, und so das Weltall regiert. Wie weit dies geht, möchte ich mit einem Zitat aus Psalm 139 belegen, wo es von ihm heißt: ''Denn Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke. Das erkennt meine Seele'' (Psalm 139,13-14). Das erkennen am besten die Biologen. Wenn Sie ein Biologe sind - aber auch sonst -, wissen Sie, daß der Mensch ein sehr wunderbares Geschöpf ist. Ob Sie das Gott in die Schuhe schieben, oder dem Zufall oder der Selbstorganisation oder der Evolution, das ist eine andere Frage. Aber dem Wunderbaren am Menschen kann sich niemand entziehen, der bewußt wahrnimmt, wie im gesunden Menschen alles funktioniert und harmoniert zu einem Ganzen. Und nach Auskunft der Bibel ist es Gott, der sich darum kümmert, der unser Wesen anlegt vor unsrer Geburt, damit wir das werden, was er sich vorstellt. Angesichts dessen, was der Mensch heute weiß und kann, fragt man sich, wie denn Gott überhaupt in der Welt handeln kann. Gibt es denn Raum für ihn in unserem wissenschaftlichen Weltbild?


Gott ist Herr über den Zufall

Nach meiner Überzeugung ist das Wesentliche, daß Gott dort, wo der Zufall zukunftsentscheidend ist, in die Welt eingreift. Zufall ist oft belanglos und dann ist es auch nicht weiter relevant, sich darum zu kümmern. Aber manchmal macht es einen wesentlichen Unterschied aus, wie der Zufall ausfällt.

Die Mathematiker reden von exponentieller Verstärkung von Fluktuationen. Eine Fluktuation ist etwas Zufälliges, etwas Kleines, eine geringfügige Abweichung. Eine exponentielle Verstärkung, das bedeutet, daß etwas sich in gleichen Zeitabschnitten verdoppelt, so daß, was am Anfang nur eins ist, nach einer Zeiteinheit zwei und nach 10 Zeiteinheiten 1000 und nach 100 Zeiteinheiten astronomisch viel ist. Und deshalb, ganz gleich, wie winzig die Ursache am Anfang war, ist sie zum Schluß unübersehbar. Jesus redet auf diese Weise vom Reich Gottes: ''Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie ein Senfkorn: wenn es gesät wird aufs Land, so ist es das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden. Und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt grosse Zweige, so daß die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können'' (Markus 4,31-32).

Auf einer anderen Ebene reden die Mathematiker von Bifurkationen im Rahmen der sogenannten Katastrophentheorie. (Ich weiß nicht, wieviele Mathematiker da sind; das macht man in der höheren Analysis, wenn man dynamische Systeme betrachtet.) Das Wesentliche für uns ist, daß manchmal die Stetigkeit der Natur plötzlich Brüche hat, da passiert etwas Unstetiges. Wenn ich z.B. diesen Stab hier biege, dann läßt er sich biegen. Wenn ich aber weiter und weiter biege, - was ich nicht allzu weit tun will, aber Sie können es sich vorstellen, - irgendwann passiert wirklich etwas, was aus dem Rahmen fällt, daß nämlich der Stab bricht. Das kann man mathematisch auf der dynamischen Ebene durch Bifurkationen, und auf der statischen Ebene durch den ersten Eigenwert von irgendwelchen Differentialgleichungen ausdrücken. (Wenn Sie das nicht verstehen, macht es nicht viel: man kann Gott auch ohne Mathematik verstehen - aber manche Einsichten hat er den Mathematikern vorbehalten.) Aber wenn man genauer nachschaut, was passiert, dann ist es ein winziger Unterschied dazwischen, ob der Stab noch hält oder ob er bricht. Und genau an dieser Stelle greift Gott ein.

Weitere Punkte sind in der Biologie der Befruchtungsvorgang. Das ist ein Vorgang, in dem der Zufall eine große Rolle spielt, und wo sehr geringfügige Änderungen große Folgen haben können. Zufällige Mutationen in einzelnen Genen wirken sich u.U. sehr drastisch auf das fertig Entwickelte aus. Oder, wenn man versucht, sich zu überlegen, wie das Geistige mit dem Materiellen zusammenhängt, dann gibt es so berühmte Leute wie Popper und Eccles, die im Gehirn dem Willen eine gewisse Einwirkungsmöglichkeit auf statistische Unterschiede zuschreiben. So kommt es, daß auch hier nur geringe, kaum messbare Änderungen nötig sind, um u.U. grosse Dinge zu bewirken. Daß Gott alle diese Dinge in der Hand hat, ist ein entscheidendes Axiom der Bibel.

Durch die Kontrolle des Zufalls schafft Gott Neues und Unerwartetes. Ein drastisches Beispiel dafür haben wir vor nicht allzu langer Zeit in aller Öffentlichkeit erlebt: wie die Mauer in der DDR geöffnet wurde. Dabei hat der Zufall eine nicht geringe Rolle gespielt. Dadurch, daß das Schriftstück, mit dessen Verkündigung die Entscheidung fallen sollte, von Schabowski versehentlich 8 oder 9 Stunden zu früh im Fernsehen vorgelesen wurde, waren die Grenzer nicht vorbereitet und haben deshalb allem freien Lauf gelassen. Wenn alles seine sozialistische Ordnung gehabt hätte, wäre wahrscheinlich alles ganz anders gekommen. Durch einen kleinen Zufall öffnet Gott die Schleuse zu Unvorhergesehenem.

In der Bibel gibt es mehrere Stellen, wo das genauso der Fall ist. Ich möchte dazu aus dem Buch der Richter einen kleinen Ausschnitt aus der Geschichte von Gideon vorlesen. Gideon ist ein unbedeutender Mann, den Gott aber ausgesucht hat, das Volk Israel von seinen Unterdrückern zu befreien. Gideon kennt Gott nicht gut, er möchte ihm vertrauen und hat doch Zweifel, ob er sich auf ihn verlassen kann. Gott erwartet von ihm unerhörte Sachen, er soll sich auflehnen gegen althergebrachte Dinge und eingefahrene Situationen. Als Test, ob er sich wirklich auf Gott verlassen kann, schließt er mit Gott einen Handel ab und sagt:

''Willst du Israel durch meine Hand erretten, wie du zugesagt hast, so will ich abgeschorene Wolle auf die Tenne legen. Wird der Tau allein auf der Wolle sein und der ganze Boden umher trocken, so will ich daran erkennen, daß du Israel erretten wirst durch meine Hand, wie du zugesagt hast '. Und so geschah es. Und als er am anderen Morgen früh aufstand, drückte er den Tau aus der Wolle, eine Schale voll Wasser! Und Gideon sprach zu Gott: `Dein Zorn entbrenne nicht gegen mich, wenn ich noch einmal rede. Ich will es nur noch einmal versuchen mit der Wolle. Es sei allein auf der Wolle trocken, und Tau auf dem ganzen Boden. '' (Richter 6,36-39) - Also gerade umgekehrt wie zuvor. Offenbar war Gideon ein Wissenschaftler, der seine Versuche durch Kontrollversuche absichert. Er hatte sich gedacht, ich will sicher gehen, ob das nicht irgend etwas Unbekanntes, aber gesetzmäßig Vorgehendes ist, wo Gottes besondere Aktivität gar nicht nötig wäre, und hat so die Fähigkeiten Gottes auf die Probe gestellt. ''Und Gott machte es so in derselben Nacht, daß es trocken war allein auf der Wolle und Tau überall auf dem Boden.'' (Richter 6,40)


Wie Unglaubliches verständlich werden kann

Natürlich erscheint uns das alles sehr unglaublich - und es gibt noch mehr Geschichten in der Bibel, die einem unglaublich erscheinen. Manche Geschichten werden im Laufe der Zeit verständlicher, dadurch, daß man seinen eigenen Horizont erweitert und mehr erfährt. Andere Dinge bleiben so unglaublich, wie sie sind. Wie bisher ist es wieder die Frage, wieviel Vertrauen man hat, diesmal in die Überlieferung, ob die Dinge richtig dargestellt sind oder nicht. In diesem speziellen Fall kann ich aber etwas Konkretes erzählen, was mich ausserordentlich verblüfft hat. Ich muß öfters bei Diplomphysikern die Nebenfachprüfung in Mathematik abnehmen; bei den Prüfungsunterlagen liegen immer die Diplomarbeiten bei, und ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, sie daraufhin durchzulesen, ob etwas Interessantes drinsteht, um meinen Horizont zu erweitern. Nun hat einer der Physiker (zufällig) eine Diplomarbeit gemacht über Konzentrationsphänomene, und da hat er ein Phänomen entdeckt, das genau den ersten Fall erklärt, daß es nämlich unter bestimmten atmosphärischen Bedingungen so sein kann, daß das Gras trocken bleibt und die Wolle feucht wird, weil sich der Tau auf die Wolle konzentriert. Und zwar liegt das daran, daß Wolle und Gras eine unterschiedliche physikalische Struktur haben. In einem Grenzbereich, wenn die Temperatur unter bestimmten Feuchtigkeitsbedingungen an einer bestimmten Schwelle ist, zieht die Wolle das Wasser schon an und das Gras noch nicht. Gott brauchte also nur die lokale Temperatur und Feuchtigkeit so zu beeinflussen, daß sie (zufällig) richtig war, um Gideons Wunsch zu entsprechen. Und wie empfindlich - chaotisch - das Wetter auf kleine Ursachen reagieren kann, weiß man als Mathematiker und Physiker - nicht umsonst sind Wettervorhersagen auch trotz massiven Einsatzes von Wettersatelliten und Computern immer noch ziemlich unsicher. (Vielleicht findet jemand eines Tages auch noch eine Erklärung für den zweiten, umgekehrten Fall.)

Wir sehen also, daß Dinge, die uns unerklärlich sind, uns oft nur deshalb unerklärlich sind, weil wir die Mechanismen nicht kennen. Manchmal sind sie uns unerklärlich, weil die Sachen einfach falsch sind und jemand sie übertrieben erzählt hat, oder jemand hat sie gutgläubig von anderen übernommen, oder aus Mißverständnis. Es ist oft schwierig, zu entscheiden, was welche Ursache hat und ob etwas vertrauenswürdig ist, und man muß die Dinge abwägen. Manches erweist sich als vertrauenswürdig, was wir aus dem heraus, was wir selbst erlebt haben, zunächst als unzuverlässig einschätzen, und bei manchem sind wir geradezu leichtsinnig gutgläubig, wo sich erst später herausstellt, daß wir uns täuschten.


Gott lenkt die menschliche Kultur

Durch die Beherrschung des Zufalls schafft Gott nicht nur Neues und Unerwartetes, sondern er schafft auch Allmähliches und lenkt auf diese Weise die kulturelle Entwicklung der Menschheit. Das ist in der deutschen Sprache sehr deutlich verankert: Unser kreatives Tun wird mit solchen Redewendungen wie ''Ein-fall'' oder ''ich bekomme eine Idee'', oder ''mir geht ein Licht auf'', ''mir kommen gute Gedanken''. Das sind alles Dinge, wo wir selbst passiv sind, etwas fällt ein, wir bekommen die Idee, uns geht ein Licht auf, die Gedanken kommen - wir sind aktiv gar nicht daran beteiligt. Zwar haben wir den kreativen Akt vorbereitet, wenn wir uns um eine günstige Atmosphäre gekümmert haben, oder wo wir versucht haben, etwas zu verstehen. Aber dann, ganz plötzlich, passiert es. Wenn man solche Sachen mathematisch beschreibt - es gibt solche Versuche in der Informatik, wo es viel mit Mustererkennung und ähnlichen Sachen zu tun hat -, dann spielt wieder der Zufall eine große Rolle. Der entscheidende Punkt ist der: Dort, wo das Unverständnis in Verständnis umkippt, ist nur eine kleine Schwelle, und genau an dieser Stelle greift Gott ein. Wir sind ''schöpferisch'', denn wir schöpfen aus dem, was Gott uns bereitstellt.

Was ich damit zeigen wollte: Man kann durchaus auf wissenschaftlicher Ebene argumentieren, wie Gott in die Welt eingreift, mit entscheidenden Wirkungen auf uns Menschen, ohne daß er die Naturgesetze verletzen müßte. Gott, der die ganze Welt in Harmonie erhält, hat die Naturgesetze geschaffen, damit sie sein Tun unterstützen, und nicht damit sie ihm Fesseln anlegen.


Gott handelt optimal

Um die Geschicke der Welt unter Kontrolle zu halten, arbeitet Gott außerordentlich ökonomisch. Er arbeitet nicht nur so ökonomisch, daß er dort die Dinge bewegt, wo sie sich mit minimalem Aufwand bewegen lassen: Will man Menschen formen, so ist sehr viel mehr Arbeit nötig, einen ausgewachsenen Menschen zu formen, als kleine Korrekturen in den Chromosomen vorzunehmen, die nötig sind, um den einen Menschen so und den anderen Menschen anders werden zu lassen. So erreicht Gott in der Biologie auf ökonomische Weise eine unerschöpfliche Vielfalt.

Auch die Physik zeugt von solchen Effektivitätsprinzipien Gottes. Gott ist ein idealer Ingenieur, der kein bißchen Energie verschenkt: es gibt den Energie-Erhaltungssatz. Gott ist auf optimale Wirkung aus, wie die Wirkungsprinzipien in der Mechanik zeigen. Der zweite Hauptsatz der Wärmelehre zeigt, daß Gott dafür gesorgt hat, daß die innere Vielfalt (Entropie) der Welt stets zuninmmt. Und das Gesetz der minimalen Entropieproduktion zeigt, daß Gott auch mit der verfügbaren Information optimal umgeht.


Wunder verraten Reparaturen

Dann gibt es Ausnahmefälle, die man am besten verstehen kann, wenn man die Welt mit einem Computer vergleicht. Ein Computer muß gelegentlich gewartet werden; oder eine Reparatur fällt an; oder ein Programm wird gewechselt - und dann passieren in einem Computer, wo sonst die routinemässigen Dinge geschehen, ungewöhnliche Dinge, die kein Mensch erwartet hätte, der sich hingesetzt hat und statistisch analysiert, was da im Normalbetrieb in den Prozessoren und in den Gedächtnisspeichern vor sich geht. Es passieren einfach zu außergewöhnlichen Zeiten außergewöhnliche Dinge, die nicht der Regel entsprechen. Wenn wir forschen, dann erfassen wir die Regel, aber wir erfassen nicht die Ausnahmen; daher bleiben diese der wissenschaftlichen Forschung unzugänglich.

Dieser Vergleich unserer Welt mit einem Computer schafft die Möglichkeit, die Wunder zu verstehen, die den naturwissenschaftlichen Rahmen sprengen. Ich sage nichts darüber, welche Wunder tatsächlich passiert sind, und welche erst durch achtlose Überlieferung zu Wundern geworden sind, obwohl sie ursprünglich eine ganz natürliche Erklärung hatten. Da das Urteil darüber von den persönlichen Annahmen über das, was noch als wirklich akzeptiert wird, abhängt, gibt es selbst unter Christen sehr unterschiedliche Ansichten darüber. Die Bibel ist von Menschen geschrieben, und deshalb auch mit menschlichen Mängeln behaftet; aber Gott hat dafür gesorgt, daß selbst durch diese Mängel hindurch sein Wort in der Bibel mit Vollmacht zum Ausdruck kommt und uns mit Orientierung, Rat, Trost und Hoffnung versorgt. Die Hoffnung, daß Gott das Aussichtslose zur Wirklichkeit machen kann und es zuweilen auch tut, gehört zu den großen Geschenken Gottes an uns, und hat schon viele vor dem Verzweifeln bewahrt.


Gott liebt uns Menschen

Die Liebe Gottes ist sprichwörtlich im Gerede vom `lieben Gott' - aber dieser Ausdruck ist zur Floskel geworden und täuscht über die wahre Natur Gottes. Gott vereint Liebe mit Hoheit, Herrschaft und Gerechtigkeit. Gott liebt uns Menschen als die, die er geschaffen hat, ''sich zum Bilde'', damit er Partner hat, die etwas von seiner Art haben. Als unser Schöpfer weiß Gott, was für uns am besten ist, und er ist daran interessiert, daß wir uns danach richten. Wenn wir uns an seinen Willen halten, folgt als natürliche Konsequenz ein erfülltes Leben, ein Leben, das uns ausfüllt in seinem Wechsel von Ruhe und Gefordertsein, in der Geborgenheit bei Gott. Versäumen wir seinen Willen und gehen eigene, von Gott nicht gebahnte Wege, so verzichten wir damit auf seinen Segen.


Leben ohne Gott

Die natürliche Konsequenz davon ist zunächst Überforderung bei ethischen Entscheidungen. Im Buch Genesis, dem 1. Buch Mose, wird das schön ausgedrückt in der Geschichte vom Sündenfall. Durch den Ungehorsam von Adam und Eva geht ein Teil des Versprechens der Schlange in Erfüllung: ''Ihr werdet wissen, was Gut und Böse ist.'' Aber wie es mit den Versprechungen des Teufels so ist: sie sind verlockend, haben aber einen teuflischen Haken, und den verrät er uns nicht; das ist sein Gewinn, daß wir darauf hereinfallen. Im Fall von Adam und Eva wissen sie nun zwar, was Gut und Böse ist, aber sie sind völlig überfordert bei dem Versuch, nun auch das Gute zu tun. Dabei kann uns der Teufel nicht helfen, und er ist auch gar nicht daran interessiert. Ihm geht es darum, das Böse verführerisch zu gestalten, und uns blind zu machen für die bösen Nebenwirkungen in unseren guten Absichten. Daran krankt unsere Welt bis heute, und unsere Wissenschaft mit ihr: Im Rausch des Fortschritts wird die damit einhergehende Bedrohung und Zerstörung heruntergespielt.

Die nächste Stufe des Abweichens vom Weg Gottes ist Entfremdung ; als Folge des Sündenfalls wird uns gesagt: ''Mit Mühsal wirst du dich nähren dein Leben lang.'' Wie viele von uns wissen, kann Arbeit außerordentlich Spaß machen, sie kann aber auch ein unerhörter Frust sein. Ich glaube, daß die ursprüngliche Qualität der Arbeit das Schöne war, das Erfüllende. Nicht unbedingt das Leichte, aber etwas, was bei aller Schwierigkeit doch Freude macht. Die entfremdete, langweilende, quälende Arbeit, die wir heute oft erleben, ist mit eine Folge davon, daß wir uns nicht so verhalten, wie Gott es von uns wünscht.

Wenn die Entfremdung weit genug fortgeschritten ist, ergibt sich ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Schließlich kommt es zur Vernichtung, was bei manchen Menschen zur physischen Vernichtung führt, indem sie Selbstmord begehen. Bei anderen Menschen führt es zu einer psychischen Ver-Nicht-ung, indem sie sich als Nichts fühlen und zu Nichts werden. Und wenn man ein materialistisches Weltbild hat, dann bleibt einem vom Menschsein am Schluß nur noch das zufällige Nichtssein, ein Stäubchen Sein im unendlichen Universum.


Jesus Christus - Zentrum von Wahrheit und Vertrauen

Während uns das Alte Testament ein Bild von Gott zeichnet, der uns oft ferne ist, weil unser Verschulden uns von ihm trennt, ist uns Gott im Neuen Testament durch Jesus Christus menschlich nahe, zugänglich und verständlich geworden. Dem Zeugnis der Bibel nach ist Jesus der Garant dafür, daß wir aus verfahrenen Situationen wieder heraus kommen können, indem wir Vergebung erlangen. Er ermöglicht uns durch seinen Geist einen Neuanfang. Er zeigt uns, wie wir liebevoll handeln können, und uns von den Umständen nicht verbittern zu lassen brauchen. Nach den Aussagen der Bibel ist Jesus das Zentrum von Wahrheit und Vertrauen.

Ich möchte dazu zwei Stellen vorlesen aus dem Johannes-Evangelium. Eine steht in Johannes 14: ''Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich'' (Johannes 14,6). Durch Jesus gewinnt die Wahrheit eine persönliche Qualität. Wenn wir Christen versuchen und danach streben, ihm ähnlicher zu werden, dann ist das ein Streben nach Wahrhaftigkeit, das auf der persönlichen Ebene dem gleicht, was auf der sachlichen Ebene ein Wissenschaftler ebenfalls hat, der sein Streben nach Wahrhaftigkeit im Erkennen der materiellen Wirklichkeit zu verwirklichen sucht.

Und ein anderes Zitat aus Johannes 11: ''Ich bin die Auferstehung und das Leben'', sagt Jesus, ''wer mir vertraut, der wird leben, auch wenn er stirbt, und wer lebt und mir vertraut, der wird nimmermehr sterben'' (Johannes 11,25-26). Dieses Versprechen vom ewigen Leben ist eine der zentralen Aussagen des Christentums. Es erlaubt uns, anders zu sein als viele Menschen. Wir brauchen uns nicht an Sachzwänge gebunden fühlen, weil wir ein ewiges Leben haben. Es kommt nicht darauf an, daß wir morgen oder übermorgen oder nächste Woche oder bei der nächsten Wahl dieses oder jenes erreicht haben. Damit können wir den Sachzwängen ausweichen, weil wir nach den Maßstäben Gottes leben. Gott ist ein ewiger Gott; er verspricht uns ein ewiges Leben. Damit haben wir die Möglichkeit, über unseren eigenen Horizont hinaus zu sehen, der Welt mit anderen Augen zu begegnen, und auch dort mit Liebe und Sorgfalt zu handeln, wo, oberflächlich gesehen, Sachzwänge uns zu schlechten Kompromissen zwingen.


Gott läßt uns Freiheit, damit wir das Gute wählen

Gott hat uns die Freiheit des Willens gegeben, daß wir tun und lassen können, was wir wollen. Aber er hat uns gleichzeitig immer wieder daran erinnert, daß es nicht sinnvoll ist, einfach zu tun und zu lassen, was uns gerade einfällt, sondern daß wir das Leben wählen sollen.

Die Freiheit dient dazu, daß wir mit Liebe handeln können: ein Roboter kann sich nicht auf einmalige Situationen einstellen; ein liebender Mensch kann es und tut es. Und Liebe gedeiht nur in der Freiheit. Ich möchte dazu etwas vorlesen aus dem 5. Buch Mose, dem Deutero nomium. Das Buch, aus dem dieser Abschnitt stammt, besteht größtenteils aus der Abschiedsrede von Mose, wo er als Führer des Volkes Israel zurücktritt und sein Amt an Josua weitergibt. In seinem Rechenschaftsbericht zieht er die Bilanz aus dem, was er getan und gewollt hat während der ganzen Zeit, in der er das Volk geführt hat. An der Stelle, die ich lese, redet er im Namen Gottes:

''Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse,'' - dir, das heißt dem ganzen Volk, jedem Einzelnen, - ''Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen, ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen, indem ihr den Herrn, euren Gott liebt und seiner Stimme gehorcht, und ihm vertraut. Denn das bedeutet für dich, daß du lebst und alt wirst und wohnen bleibst in deinem Lande'' (5. Mose 30,15.19-20). Es ist zu unserem eigenen Vorteil, das Leben zu wählen. Wenn Sie als Wissenschaftler später tätig sind, dann haben Sie die Möglichkeit, im Auftrag des Lebens oder im Auftrag des Todes zu forschen und zu handeln; es ist wichtig, sich immer bewußt zu bleiben, daß man das Leben wählt.


Gott - Ruhepunkt und Herausforderung

Gott ist für alle da. Er ist nicht ein Gott für einzelne, nicht nur Gott für die Christen. Er ist nicht nur ein Gott für Leute mit hohen moralischen Vorstellungen oder für Leute mit besonderem Schutzbedürfnis, sondern er ist für alle da.

Für die Starken ist er eine Herausforderung. Die meisten von Ihnen werden die Bergpredigt ganz oder auszugsweise kennen, wo Jesus einen unerhörten Anspruch an uns Menschen stellt, wo er schließlich soweit geht, daß er sagt: ''Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie mein Vater im Himmel vollkommen ist.'' Gottes Vollkommenheit kann man an der Natur in vielem sehen. Für mich als Mathematiker mit Bezug zur Physik ist die Vollkommenheit Gottes, wie sie in der Physik zum Ausdruck kommt, etwas außerordentlich Beeindruckendes. Gott möchte, daß wir so vollkommen werden, wie er ist - als Zielvorstellung.

Die, die stark sind, die nach einer Herausforderung im Leben suchen, nach dem ganzen Einsatz ihrer Kräfte für eine Aufgabe, die sich lohnt, - die finden das im Christsein. Man kann von dort, wo man ist, immer sehr viel weiter vorwärtsschreiten in Bezug auf Vollkommenheit. In manchen Bereichen wird man vielleicht fast vollkommen; in anderen Bereichen merkt man, daß man trotz ernsthaften Bemühens kaum die Schwelle zum Anfang überschreiten kann.

Auf der anderen Seite ist Gott ein Ruhepunkt für diejenigen, die vom Leben überfordert sind, für die Schwachen und Enttäuschten. Im Alten Testament sagt der Prophet Jesaja: ''Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen, aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden'' (Jesaja 40,29-31). Wenn wir schwach sind, dann ist Gott für uns eine Kraftquelle, sooft wir uns mit ihm auseinandersetzen. Und im Neuen Testament nimmt Jesus das auf und sagt: ''Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanft mütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für euer Leben. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht'' (Matthäus 11,28-30). Leichter als die Last, die uns die Umwelt oft aufdrängen will.


Einladung zur Gemeinschaft mit Gott

Ich habe viele Punkte genannt, und das immer noch unzureichend, Gott ist noch viel mehr. Aber wer Gott wirklich ist, das kann man nur erleben, wenn man freundschaftlichen Umgang mit ihm pflegt. Er lädt uns dazu ein, Freundschaft mit ihm zu schließen und zu pflegen. Und es ist schön (wenn auch manchmal ganz schön anstrengend), mit ihm zu leben. Zum Abschluß möchte ich selbst bezeugen, was auch der Apostel Paulus in der Bibel bezeugt hat: ''Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen'' (Römer 8,28). Zum Besten dienen, das heißt nicht nur gut tun, sondern sehr gut tun, und alle Dinge, das sind wirklich alle Dinge. Das sind die Dinge, die uns beschweren und die Dinge, die uns Freude machen. Das sind die Dinge, die uns schmerzen und die Dinge, die uns bereichern. Das sind die Dinge, die unsere Kräfte und Fähigkeiten fordern, und die, die uns überfordern. Im Leben mit Gott erlebt man, daß selbst die schwierigsten Seiten des Lebens vorteilhaft sind für unsere persönliche Entwicklung, und ich wünsche Ihnen, daß Sie diese Erfahrung auch machen.


Diskussion

(Die Fragen sind z.T. leicht gekürzt wiedergegeben.)

Frage: Sie haben erzählt, wie man aus wissenschaftlicher Perspektive erklären kann, wie Gott in der Welt handelt. Nun wollte ich Sie fragen, wie erklären Sie die Entstehung von Leid, von Schmerzen und Qual? Ich denke z.B. auch an den Hunger in der 3. Welt.

Antwort: Ich habe keine fertige Erklärung dafür, aber ich habe mir Gedanken darüber gemacht. Vielleicht ist es so, daß die Dinge aus der Perspektive Gottes ganz anders aussehen als aus der Perspektive von uns Menschen. Wir Menschen denken, daß das Leben die Zeit ist, die wir von unsrer Geburt bis zum Tod haben. Gott denkt in Ewigkeiten; er hat für uns ein ewiges Leben vorgesehen. Ich habe den Eindruck, daß unser Leben - was w i r als Leben bezeichnen - eine Schule ist, eine Vorbereitung für eine andere Welt, die Gott vorbereitet, und von der in der Offenbarung die Rede ist: eine neue Welt, in der es kein Leid, keinen Schmerz mehr geben wird. Es wird eine Welt sein, zu der nicht alle Menschen Zugang haben, sondern die Menschen, die sich darauf vorbereiten lassen in unsrer Welt, die die Herausforderungen Gottes in dieser Welt annehmen. Ich sehe das Leid aus dieser Perspektive. Ich rechne persönlich damit, daß ich nach meinem Tod überlebe, und daß das, was ich hier gelernt habe, nicht umsonst ist, sondern daß es auch in der Ewigkeit gebraucht wird; und das hilft mir, mein eigenes Leid zu tragen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das richtig ist, aber das ist eine der Vorstellungen, die ich darüber habe.

So wie ich mir einen Studenten vorstelle, der viel Leid haben kann mit der Bewältigung von Vorlesungen oder Prüfungen, die ihn aber dadurch, daß er alles durchsteht und überwindet, vorbereiten auf ein Leben in der Praxis, wo er dann gereift und fähig ist, ganz andere Dinge anzupacken. Was Sie im Studium lernen, ist nicht nur Wissen; was im Beruf später gebraucht wird, ist oft mehr das Andere: daß Sie gelernt haben, Hürden zu überwinden, einen langen Atem zu haben, geduldig zu sein, Ausdauer zu zeigen, daß Sie sich von Problemen nicht entmutigen lassen, usw.. Sie können erkennen, das sind genau die Probleme, mit denen Sie jetzt, während Ihres Studiums, kämpfen müssen, die Ihnen jetzt Sorgen machen. Alles, was im Studium auf Sie zukommt, ist auch eine Bewährungsprobe, ob Sie fähig sind, große Projekte anzupacken und durchzustehen. Viele von Ihnen werden, wenn sie fertig studiert haben, bald Führungsfunktionen in der Wirtschaft übernehmen, nicht unbedingt in den höchsten Ebenen, aber manche von Ihnen ganz oben, andere weiter unten. Leiten können bedeutet, eine weite Perspektive zu haben; lange vorher zu wissen, was man bedenken muß; sich nicht gleich von jeder sich ändernden Gegebenheit beeinflussen zu lassen; die Menschen, die man zu führen hat, zu verstehen; und das lernt man nur durch eigene leidvolle Erfahrungen. Auf ähnliche Weise nehme ich an, daß das, was Gott uns zumutet, uns auch für später vorbereitet. Und ich denke, daß er vielen Menschen viel Leid zumutet, den Einzelnen in sehr verschiedenem Ausmaß. Selbst seinen Sohn Jesus Christus hat er, als Vorbereitung für die Ausübung der himmlischen Herrschaft nach seiner Auferstehung, auf Erden alles menschliche Leid durchmachen lassen, damit er jetzt, wo er regiert, uns Menschen versteht und weise und liebevoll führen kann.

Frage: Ich glaube, daß Gott das Leid der Menschen nicht will, sondern daß vieles Leid aus unsrer eigenen Schuld kommt, weil wir etwas versäumen. Ich finde es sehr gefährlich, alles auf die Ewigkeit zu beziehen; ich glaube viel eher, daß das Reich Gottes jetzt schon anfangen soll, und wir dazu beitragen. Wenn wir das so sehen, dann wird sich auch mehr verbessern auf der Welt.

Antwort: Ich glaube auch, daß wir Menschen an einer ganzen Menge Leid selber schuld sind. Aber ich glaube nicht, daß das eine ausreichende Begründung ist für das gesamte Leid in der Welt. Es ist ja so, daß Gott uns darauf hinweist, wie wir miteinander umgehen sollen, damit es uns gut geht - und nicht nur uns als Einzelperson, sondern uns als Gemeinschaft. Wenn wir das nicht berücksichtigen, dann ernten wir natürlich die Folgen von unserem eigenen unvernünftigen Verhalten. Es gibt auch andere Dinge, die wir kaum in der Hand haben, und wo das Leid der Anderen - oder auch unser eigenes Leid - eine Herausforderung für uns ist, daß wir die von Gott in uns angelegten guten Qualitäten entwickeln, und so das Leid der Menschen vermindern.

Aber vieles Leid ist ohne unser Zutun in die Welt gekommen. Für Leid, wie es etwa durch den Reaktorunfall in Tschernobyl entstanden ist, sind wir natürlich voll verantwortlich. Aber Leid, das dadurch entsteht, daß Krankheiten in der Welt sind, das war bis vor etwa 150 Jahren fast völlig der Kontrolle des Menschen entzogen, und bei Krankheiten wie Krebs ist es heute immer noch so. Ich würde mich hüten, zu behaupten, daß kein Mensch Krebs bekommen würde, wenn er sich optimal verhielte; das kann ich einfach nicht vertreten. Und ich glaube auch nicht, daß Sie das vertreten könnten gegenüber jemandem, der tatsächlich Krebs hat.

Frage: Sie haben anfangs sinngemäß gesagt, wie ich die Wirklichkeit erfahre, hängt davon ab, wie ich meine Axiome wähle. Und Sie haben dann gesagt, daß man über Wirklichkeit bzw. Wahrheit, was Sie ja fast gleichgesetzt haben, nur subjektive Aussagen machen kann, je nachdem, wie man seine Axiome gewählt hat. Die Ausssagen, die Sie danach über Gott gemacht haben, haben aber einen sehr objektiven Charakter gehabt. Muß man nicht zwangsläufig auch das nur subjektiv aussagen?

Antwort: Ich habe die Grundlage genannt, auf der ich meine Aussagen über Gott gemacht habe, nämlich einerseits die Bibel, andererseits das, was ich an Erfahrungen mit Gott und der Bibel gemacht habe. Das war mein Ausgangspunkt für das, was ich in der zweiten Hälfte gesagt habe. Das ist ein subjektiver Ausgangspunkt, der aber versucht, mit der objektiven Wirklichkeit eine größtmögliche Übereinstimmung zu finden. Ich bin nicht blind der Wirklichkeit gegenüber, sondern habe mich bemüht und bemühe mich weiter, mein Verständnis der Welt mit dem, was ich tatsächlich erlebe, in Einklang zu bringen. Das ist die Art, die Paulus empfiehlt - ''Prüfet aber alles, und das Gute behaltet,'' - und ist auch die Art, die der Naturwissenschaft zu ihren Erfolgen verholfen hat.

Zwar sind meine Annahmen subjektiv und müssen subjektiv verantwortet werden. Aber auch wenn die Physik von Grundlagen ausgeht, die aus den subjektiven Motiven, die ich genannt habe,akzeptiert wurden, so ist das, was sie damit beschreibt, trotzdem in außerordentlich hohem Maß zuverlässig. Subjektiv bedeutet also n i c h t unzuverlässig, sondern: zuverlässig in dem Maß,wie es sich bei sorgfältiger Prüfung bewährt hat. Wie schon gesagt, kann man gute oder schlechte Ausgangspunkte wählen; sind die Ausgangspunkte gut, wird der Wahrheitsgehalt groß, sind die Ausgangspunkte schlecht, bleibt der Wahrheitsgehalt gering.

Frage: Wenn Gott die Kontrolle über die Natur hat, wie kann er dann zulassen, daß der Mensch seine Umwelt, oder auch die Natur den Menschen zerstört?

Antwort: Der Grund ist der gleiche, wie wenn ein Chemiker, der bestimmte Reaktionsprodukte haben will, die Reaktionsbedingungen so festlegt, daß zum Schluß das Gewünschte herauskommt, selbst wenn es zwischendrin im chemischen Reaktor sehr heiß hergeht. Für die Dauer des Prozesses genügt es, wenn gewisse Grenzen nicht überschritten werden.

Wenn man die Welt von unserem Standpunkt aus betrachtet - die wir aus einem Zeitraum von vielen Tausend Jahren nur einen ganz geringen Ausschnitt wahrnehmen -, dann kann man eine so groß angelegte Sache wie die Welt nicht begreifen. Von Gott her gesehen ist unsere Welt nur auf Zeit angelegt, auf Verschleiß; ein Ende ist ausdrücklich vorgesehen. Die Welt ist auch nur ein Werkzeug in der Hand Gottes. Die Welt ist ein Reaktor Gottes, geschaffen, um Menschen reifen zu lassen. Der Prophet Jesaja, den ich vorhin schon zitiert habe, verwendet genau dieses Bild - natürlich in einer Sprache, die der damaligen Kultur angemessen war: er redet von Gott als dem Töpfer, der uns, den Ton, formt, und davon, daß Gott uns läutert im Schmelztiegel - dem Reaktor von damals - des Leids, so wie man Silber von der Schlacke reinigt. Und Gott hat zugesagt, daß er nicht mehr Leid über uns bringen wird, als wir tragen können; wie der Chemiker ist er am guten Ausgang interessiert, und sorgt dazwischen dafür, daß die Grenzen eingehalten werden.

Wie schon gesagt, glaube ich, daß bei Gott Leid eine konstruktive Rolle spielt. Das Schwierige daran ist, daß Leid schwer zu tragen und schmerzlich ist; aber wir alle kennen Fälle, wo wir uns nicht um unseren Schmerz kümmern, weil wir genügend Interesse und Motivation für etwas haben, was sich ohne Schmerz nicht erreichen läßt. Darauf kommt es an: daß unser Leben so von Hoffnung geprägt ist, daß wir die Widrigkeiten des Lebens gering achten bei der Verwirklichung dessen, was gut ist. Und dazu will Gott uns fähig machen.

Diese Auffassung ist auch für mich eine große Hilfe. In meinem Leben läuft auch nicht alles glatt; ich habe in manchen Bereichen ziemliche Schwierigkeiten. Und es ist mir eine große Hilfe, zu wissen, oder zu vertrauen, daß auch diese Schwierigkeiten mir zugute kommen, wie ich es am Ende meines Vortrags gesagt habe. Was Paulus da schreibt, daß uns ''alle Dinge zum Besten dienen'' müssen, habe ich am Anfang nicht für voll nehmen können; das war etwas von dem, was ich ganz stark bezweifelt hatte, als ich anfing, die Bibel zu lesen. Aber ich habe gelernt zu vertrauen, und ich habe diese Aussage zu einem Axiom in meinem Leben gemacht, als ich gesehen habe, daß ich mein Leben damit besser bewältige.

Frage: Im Schöpfungsbericht ist ja auch die Rede davon, daß Gott die Erde dem Menschen anvertraut hat. Dann müßte Gott doch auch dem Menschen die Einsicht gegeben haben, wie er mit der Erde umgehen soll, damit er nicht seine Umwelt zerstört, wie er das zur Zeit ja macht. Er ist auf dem Weg der Besserung, aber dennoch zerstört er die Umwelt ja permanent. Wenn der Mensch - oder indirekt dann Gott - da nicht bald einen Riegel vorschiebt, dann ist irgendwann die Erde kaputt, und das kann doch nicht im Sinne Gottes sein.

Antwort: Wie schon gesagt, Gott hat ein Ende der Welt eingeplant, Ihre letzte Aussage ist also so nicht richtig. Zu dem anderen: Der Evangelist Johannes zitiert Jesus mit den Worten: ''Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird noch größere tun; denn ich gehe zum Vater'' (Johannes 14,12). Das hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt. Ich glaube, seine Vorhersage ist in Erfüllung gegangen, denn die auf dem Nährboden des Christentums entstandene Naturwissenschaft hat viele segensreiche Werke hervor gebracht. Auch wenn die Wissenschaft sich heute weitgehend vom Christentum gelöst hat, ist das doch die Erfüllung.

Jesus hat einzelne Menschen geheilt, nicht besonders viele. Wir heilen heute Menschen in großem Maßstab, und haben viele Krankheiten ausgerottet, die früher viel Leid über die Menschen brachte. Wieviele Dinge hat die Wissenschaft erreicht, die vor 2000 Jahren - zu Lebzeiten von Jesus - als unvorstellbare Wunder hätten gelten müssen! Nur wird es sinnlos, etwas noch als Wunder zu bezeichnen, was jeden Tag passiert - nicht zuletzt deshalb gibt es immer weniger Wunder in der Welt.

Das Problematische ist aber, daß die Hälfte des Wortes Jesu im Lauf der Zeit nicht mehr beachtet worden ist. Es heißt nämlich ''wer an mich glaubt'', d.h., wer mir vertraut, und an anderer Stelle wird konkretisiert, was das bedeutet: Es bedeutet unter anderem, daß man sich an das hält, was Gott uns an Ratschlägen und Zielvorstellungen gegeben hat. Dann wird die Wirkung auch so sein, wie sie bei Jesus war, nämlich wohltuend.

Wenn aber die Erfahrung, die wir gewonnen haben, sich selbständig macht und sich von den Wertvorstellungen Gottes löst, so ist es damit wie mit einem scharfen Messer in einer Hand: Je nachdem, ob die Hand einem Chirurgen oder einem Verbrecher gehört, ist die Auswirkung gut oder schlecht.

Die Fähigkeiten der Menschheit wurden durch die Wissenschaften gewaltig gesteigert, aber - und ich habe vorhin schon Mose zitiert - nach Gottes Willen kommt es wirklich darauf an, das Leben zu wählen! Das ist eine Aktivität, die wir tun müssen; wenn wir das nicht tun, dann bedrohen wir - in dem Maß, wie unsere Fähigkeiten wachsen - die Welt.

Zu Beginn habe ich Jesus zitiert: ''Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, dann wird euch die Wahrheit freimachen.'' Um frei zu werden von der zerstörerischen Seite der Wissenschaft brauchen wir die Vertiefung in Gottes Wort, damit wir seinen Willen erkennen und danach leben.


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